Das Theater ist ein Gefängnis. Unter Beobachtung. Glücklicherweise nur bis zum Applaus, denn dann darf man wieder raus aus dem Container der freien Ruhrgebiets-Theatergruppe glassbooth. Hinaus an die frische Luft und vor den Fernseher, wo die Originale spielen, zwischen Promi Big Brother und Dschungelcamp. Formate, die eigentlich niemand sieht und doch recht hohe Einschaltquoten verzeichnen, ein Phänomen, das auch aus der Boulevardpresse bekannt ist.
Diesem medialen Überfluss stellt sich nun glassbooth mit Regisseur Jens Dornheim und acht Schauspielern. Mit dem ersten selbst entwickelten Stück wagt man sich aufs glatte Eis der dramatischen Logik, die sich eigentlich leider kaum entwickeln kann und beim Zuschauer einen ratlosen Beigeschmack hinterlässt. Dabei geht es los, wie es immer losgeht in den Containern dieser Welt, jeder muss seine Ambitionen outen, und seien sie noch so überflüssig. Am Ende geht es doch immer nur um den Preis – und ums mediale Überleben. Anfangs schürt Dornheim noch geschickt die Angst des Publikums vor dem Mitmachtheater, wenn Dominik Hertrich als abgehalfteter Schlagerfuzzi noch zwei Opfer im Saal der Essener Zeche Carl sucht. Natürlich stammen die dann aus dem Ensemble und müssen sich gleich der ersten Aufgabe stellen, doch Klaus und Annabel kennen nicht einmal die Fragestellung, und nach einer Minute ist auch alles schon vorbei. Die Stimme aus dem Off ist gelangweilt, kaut an irgendwelchen Nahrungsresten und die Container-Besatzung darf erst einmal die Tanzeinlage fürs Motto „Container Love“ zelebrieren. Quasi als Break zwischen den Szenen, in denen aus dem Vollen geschöpft werden, das freie Theater bejammert und zwischen Liebe und Mord und Theater und Kunst gesketschupt werden soll. Auf das zwanghaft zeitgenössisch Artifizelle haben es die acht Musketiere dabei besonders abgesehen. Das alles läuft zügig durch die 90 Minuten, Kindesmisshandlung, Asylantenfolter und eben die Kunstkritik eingeschlossen, doch irgendwie läuft es auch leichtfüßig an einem vorbei, insofern hat glassbooth das anvisierte Fernsehformat tadellos im Griff. Ausgerechnet Ma Ma Ma, Ma Baker sei dafür Dank.
„Container Love“ | R: Jens Dornheim | Fr 24.10. 19.30 Uhr | Rottstr 5 Theater, Bochum | Tour-Termine: www.glassbooth.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Nouvelle vague in der Katakombe
„Außer Atem“ am Bochumer Rottstr 5 Theater – Prolog 12/23
Widerstand ist machbar, aber unbeliebt
„Die fetten Jahre sind vorbei“ am Rottstr 5 Theater – Prolog 06/22
Wetterleuchten der Veränderung
Alexander Ritter inszeniert „Wir, Kinder der Sonne“
„Es geht nur noch darum, das irgendwie zu beherrschen.“
Auftakt der Bochumer Klimawoche von „correctiv“ am 4.11. in der Rottstr. 5 – Spezial 11/19
Aufm Arbeitsamt wird gesabbert
„Willems wilde Welt“ von theater glassbooth – Theater Ruhr 07/19
Mit Drogen locker durchs Leben
Huxleys „Schöne neue Welt“ in Bochum – Theater Ruhr 07/19
„Bullshit von der AfD“
Die Leitung des Bochumer Theaters Rottstr 5 über Fördergelder der freien Szene – Bühne 02/19
Im Dreieck wird geschwindelt
„Der Weibsteufel“ in Dortmund und Essen – Theater Ruhr 12/18
Stoisch sind die Salatköpfe
„Die Kopien“ am 12.10. am Rottstr5-Theater in Bochum – Bühne 10/18
„Wir mussten uns mit jeder Produktion neu erfinden“
Jens Dornheim und „Der Weibsteufel“ in Dortmund – Premiere 10/18
Heute ein Mythos
„Die im Schatten leben“ vom Rottstr 5 Theater – das Besondere 07/18
Das Jahr beginnt mit Flüchen
Komödien sind nicht alles im Theater – Prolog 01/18
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24
Trance durch Kunst
Die Reihe Rausch 2 in Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 11/23
Brecht im Discounter
„Der gute Mensch von Sezuan“ am Grillo-Theater in Essen – Theater Ruhr 10/23
Bretter der Kulturindustrie
„Das Kapital: Das Musical“ im Schauspiel Dortmund – Theater Ruhr 10/23
Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 04/22
Unberührbare Souveränität
Frank Wedekinds „Lulu“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/20
Totenmesse fürs Malochertum
„After Work“ in den Bochumer Kammerspielen – Theater Ruhr 02/20
Gespenstisches Raunen
Die Performance „Geister“ am Schauspielhaus Bochum – Theater Ruhr 02/20
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
Von Büchern überschüttet
„Sokrates der Überlebende / Wie die Blätter“ in Mülheim – Theater Ruhr 02/20
Tragödie mit Diskokugel
Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Oberhausen – Theater Ruhr 01/20
Ein hochemotionaler Spiegel
Khaled Hasseinis „Drachenläufer“ in Castrop-Rauxel – Theater Ruhr 01/20