Sebastian Rabsahl ist Sebastian 23. Unter seinem Künstlernamen hat der 1979 in Duisburg geborene Mützenträger dem Poetry-Slam nachhaltig seinen Stempel aufgedrückt. Seit seinem deutschen Meistertitel und dem zweiten Platz bei den offiziellen Slam-Weltmeisterschaften 2008 ist Sebastian 23 dauerpräsent. Regelmäßig moderiert er den Bochumer Poetry Slam "Club der lebenden Dichter", der nach vielen Jahren im Freibeuter dieses Jahr in die Rotunde gezogen ist. Daneben ist er Teil der LMBN-Lesebühne, die im Dortmunder domicil und im Club Bahnhof Ehrenfeld in Köln stattfindet und vor fünf Jahren als "weltbeste Lesebühne" mit drei weiteren Slamkollegen und einem DJ ins Leben gerufen wurde. Zu einer Art junger "grauer Eminenz" avanciert, ist Sebastian23 aus der deutschen Poetry Slam-Szene, die er entscheidend mitgeprägt hat, nicht mehr wegzudenken.
Von Zeit zu Zeit schließt sich der Wortkünstler und ehemalige Philosophiestudent ein, um seine Gedanken kreativ zu bündeln und sie in geschriebener Form zu veröffentlichen. Sein neues Buch trägt den Titel „Das Schiff auf dem Berg“ und genau jenes Schiff auf dem Berg ziert auch das Cover des in zwölf Kapitel bzw. „Happen“ aufgeteilten Werks. Betrachtet man jedoch die überschaubare Seitenzahl und das Format eines gelben Reklam-Klassikers, so muss man doch eher von Häppchen sprechen. „Das Schiff auf dem Berg“ ist ein kurzes und kurzweiliges Buch für die Westentasche. Es fungiert wie ein Imbiss: Hier und da mal ein Häppchen für zwischendurch. Sogar blind hineinlesen funktioniert, denn die einzelnen Geschichten werden nur von einem dünnen Tarnmantel zusammengehalten, auch ohne den Kontext zu kennen. Zwölf Texte, die in leicht abgewandelter Form und passender Intonation auch beim Poetry-Slam wirken würden.
Der angesprochene Tarnmantel ist die Frage nach der Bedeutung und dem Grund für einen immer wiederkehrenden Traum des Protagonisten. In seiner Kindheit träumt Sebastian 23 häufig von einem Schiff auf einem Berg, ohne eine wirkliche Ahnung vom Sinn dieses Traums zu haben. Im Verlauf der Texte kehren Autor und LeserInnen immer wieder zu dieser Frage zurück, die letztendlich als Legitimation dafür dient, das Leben des Autors nach Indizien zu durchforsten. Ob der Ursprung des Traums in der dörflichen Jugend des mit einer Haiphobie ausgestatten Nutella-Nerds zu finden ist oder doch bei einem Roadtrip in seiner Studienzeit? Sebastian 23 nimmt uns mit auf eine Reise durch sein noch junges, unspektakuläres Leben zwischen TKKG, bösen Deutschlehrerinnen, Philosophie und Heuballen. Stets mit von der Partie: Eine gehörige Prise Selbstironie, verpackt in Leseransprachen und Monologe, die nicht selten die eigentliche Geschichte für ganze Seiten unterbrechen und für den Lesefluss alles andere als förderlich sind. Sebastian 23 stellt in „Das Schiff auf dem Berg“ seine schreiberische Klasse und seinen Mut für nicht ganz ungeplante Spontanität unter Beweis, indem er ihr einen fast gleichwertigen Platz neben dem eigentlichen Inhalt der Texte einräumt. Dies fördert das kurzweilige Vergnügen, lässt aber „Das Schiff auf dem Berg“ trotz seiner schlanken Linie an der einen oder anderen Stelle etwas aufgesetzt und gewollt unkonventionell erscheinen.
Wer sich für den Autor Sebastian 23 interessiert, erfreut sich sicher bei der ein oder anderen Bahnfahrt am portioniert servierten Mix aus Abendteuer, philosophischen Anflügen und sarkastischer Selbstreflexion. Alle anderen müssen den Traum vom Schiff und dem Berg aber nicht zwangsläufig deuten.
Sebastian 23: „Das Schiff auf dem Berg", Lektora Verlag, 92 S., 6,00 €
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