Entsteht mitten auf der grünen Wiese Nordrhein-Westfalens größte Bauruine? An der Stadtgrenze von Datteln zu Waltrop wollte der Energiekonzern E.ON ein Kohlekraftwerk bauen – nicht irgendeines, sondern ein Referenzkraftwerk für Kunden aus dem Ausland mit eigenem Bahnhof und Hafen, sowie einen 189 Meter hohen Kühlturm. „Anfang 2006 hat E.ON seine Pläne in Waltrop vorgestellt“, erzählt Leo Petrat. „Die 300 Besucher der Informationsveranstaltung sind hinten rübergefallen.“ Petrat wohnt in Waltrop-Oberwiese, ein kleiner Wald trennt sein Haus von der Baustelle. Zusammen mit einer Handvoll Menschen und Finanzhilfe der Dattelner Grünen gründete er 2006 die Initiative „Bürger informieren Bürger“. Der Name war Programm. Die Engagierten hielten Bürgerversammlungen ab, schrieben Einwendungen und studierten dafür viele Papiere: Bauvorschriften, Verfahrenswege und die Entwicklungspläne des Landes und des Regionalverbandes Ruhrgebiet. „Irgendwann fragt man sich schon, ob man sich als Bürger eigentlich so viele Gedanken machen muss“, meint Petrat. Offensichtlich musste man aber. Denn bei den Experten vom Bau- und Umweltministerium oder der Bezirksregierung stießen die Einwände selten auf offene Ohren. Nur kleine Zugeständnisse zum Schutz vor Kohlenstaub konnten die Bürger erreichen. Parallel zu den Gesprächen bereitete die Initiative mit Unterstützung des BUND eine Normenkontrollklage vor. Kein leichtes Unterfangen angesichts von 25.000 Euro Kosten und dem Misstrauen vor Ort. Die Lokalpolitik von Datteln war nicht erfreut über die Initiative aus der Nachbarstadt, und auch in Oberwiese selbst waren die Anwohner gespalten.
„IRGENDWANN FRAGT MAN SICH SCHON, OB MAN SICH ALS BÜRGER EIGENTLICH SO VIELE GEDANKEN MACHEN MUSS“
Der Erfolg war trotzdem auf der Seite der Kraftwerksgegner. Im September 2009 verlor E.ON vor Gericht, weil Genehmigungen nicht rechtwirksam waren. Die Arbeiten am Kraftwerk mussten teilweise gestoppt werden. „Unsere Hartnäckigkeit hat die Richter beeindruckt“, ist sich Petrat sicher. In Sicherheit wiegen können er und die Initiative sich trotzdem nicht. E.ON versucht, durch ein Zielabweichungsverfahren den Weiterbau genehmigt zu bekommen. „Im Moment machen etwa 1.000 Menschen auf der Baustelle das Kraftwerk winterfest“, erzählt Wolfgang Porrmann. Der Waltroper ist Mitglied im Umweltausschuss und hat mit symbolischen Aktionen gegen das Kraftwerk protestiert. „Das sind nur kleine Aktionen gewesen“, meint er. „Die Waltroper lehnen das Kraftwerk mittlerweile mehrheitlich ab.“ Selbst die etablierten Parteien hätten ihre Meinung geändert, nachdem sie mehr über das Kraftwerk erfahren hätten. Gegenwind bläst dem langjährigen Umweltaktivisten dagegen von der Staatsanwaltschaft Recklinghausen ins Gesicht. Mit einer Spontandemonstration soll er gegen das Versammlungsrecht verstoßen haben. Im Verfahren lernte Porrmann dann, dass sämtliche seiner Aktivitäten seit 2002 von der Polizei überwacht wurden. Abgeschlossen ist der Fall übrigens noch nicht. Am 30.11. ist der nächste Gerichtstermin in Recklinghausen.
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