Dietrich Brüggemann, Jahrgang '76, studierte bis 2006 in Potsdam Regie.
„Renn, wenn du kannst", dessen Drehbuch er zusammen mit seiner Schwester
Anna schrieb, ist sein erster Kinofilm.
trailer: Herr Brüggemann, es gibt zahlreiche Filme, die Menschen mit Behinderung
überhöhen oder als Gaglieferant missbrauchen. Haben Sie Ihren Film
als Balanceakt zwischen diesen Polen empfunden?
Dietrich Brüggemann: Wir haben versucht, diesen Balanceakt einfach zu unterlaufen,
indem wir den Film nicht in erster Linie als Behindertenfilm verstehen. Behinderte
wehren sich immer dagegen, nur über dieses eine Merkmal definiert zu
werden. Völlig zurecht, denn sie haben auch noch andere Eigenschaften. Genau das
war mir wichtig am Film: Er erzählt von drei Individuen mit individuellen Eigenschaften,
und auch der Film selber hat noch andere Merkmale als den Rollstuhl.
Was hat Sie speziell an der Figur des Rollstuhlfahrers Benjamin interessiert?
Ben ist jemand, der sich die Welt, in der er lebt, komplett selbst ausdenkt. Er ist
ein König ohne Land. Weil er dabei aber dauernd mit der tatsächlichen Realität
kollidiert, erlebt er ständig Frustrationen, die er dann an seine Umwelt weiterreicht.
Dabei ist es gar nicht sein zentrales Interesse, Leute zu beleidigen, es passiert
eher nebenbei. Und er beurteilt die Welt nicht nach moralischen Kriterien,
sondern nach ihrem Unterhaltungswert. Insofern ist er ein typisches Kind unserer
Zeit und hält auch dem Publikum den Spiegel vor.
Das Szenario des Films wirkt zunächst realistisch, vor allem die Figurenzeichnung.
Doch in einigen fantastischen Szenen verlassen Sie den Realismus sehr
eindeutig, und auch in den Alltagsszenen scheinen Sie sich nur am Rande um
Stringenz und Logik zu kümmern?
Hier muss ich widersprechen: Stringenz und Logik sind mir zentral wichtig. Kausalketten
sind das Baumaterial, aus dem man Filme macht. Man kann Stringenz
und Logik aber erweitern, indem man die Spielregeln ändert. Ein Fußballspiel auf
einem Platz, der 2 km lang, aber nur 20 Meter breit ist, wäre bizarr, aber dennoch
stringent und logisch. Wenn man es schafft, von den Menschen in einem Film
wirklich glaubwürdig zu erzählen, dann kann man sich nach meiner Erfahrung zur
anderen Seite recht weit aus dem Fenster lehnen. Es ist dann sogar wunderschön,
wenn man den Zuschauer mitnehmen kann in eine Welt, die der Protagonist des
Films eigentlich gerade nur im Kopf hat.
Wie funktionierte die Zusammenarbeit mit ihrer Schwester Anna Brüggemann?
Da wir über viele Dinge gar nicht mehr gesondert reden müssen, vereinfacht es
die Arbeit sehr. Beim Drehbuchschreiben ist es sehr hilfreich, zwei Köpfe zu haben,
die in ähnlichen Bahnen denken. Am Set ist es eigentlich ähnlich. Schwierig
würde es, wenn wir vor der Kamera ein Liebespaar spielen sollten, aber das ist
derzeit nicht in Sicht.
Sie haben bereits einen Kurzfilm über eine Rollstuhlfahrerin gedreht. Bleibt
das Ihr Thema, oder was haben wir als nächstes von Ihnen zu erwarten?
Der Kurzfilm war eine Art Vorübung, weil ich diesen Stoff schon im Kopf hatte. Im
nächsten Film geht es nicht ums Rollstuhlfahren, sondern eher ums Treppensteigen,
der handelt nämlich von acht Freunden, die sich über ein Jahr verteilt immer
wieder gegenseitig beim Umzug helfen.
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