Genießen Sie den Sommer. Das, was Sie heute denken, werden Sie morgen sein. Ein alter Spruch des Zen-Buddhismus. Aber nichts ist Realität und die Spielzeit der Ruhrtriennale ist ein nasser Waschlappen. Sie verstehen nicht? Willy Decker macht sich in seinem letzten Jahr auf die Suche nach dem Nichts im Jetzt, an die Arbeit mit einer ausdrücklich nicht-theistischen, religiösen Tradition im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung. Dem Königreich Bhutan, das sich vollständig auf die Philosophie des Buddhismus bezieht, wird ein besonderer Raum innerhalb des Programms geschaffen. Den Schwerpunkt bildet das Entdecken buddhistischer Wahrheiten in den theatralen, musikalischen und literarischen Werken unseres Abendlandes.
Wie immer eröffnet der Zen-Buddhist und Intendant Willy Decker die Spielzeit selbst. In diesem Jahr inszeniert er „Tristan und Isolde“, Richard Wagners mächtiges Werk, das mit radikaler Ausschließlichkeit von Liebe und Tod handelt. Der russische Dirigent Kirill Petrenko, Sohn eines Geigers und vor Jahren Generalmusikdirektor an der Komischen Oper Berlin, bald Dirigent des neuen „Rings“ bei den Bayreuther Festspielen, ist genau der richtige Partner mit Weltrang. Wagner ein Bodhisattva, ein Erleuchteter? Die mit Blindheit Geschlagenen auf dem Hügel werden vor Schreck ihre Schampusflöten fallen lassen, doch Decker sieht die Welt mit anderen Augen. „Nur in der Kunst wird das Jetzt erlebt“, sagte er. Kunst sei das Tantra des Westens.
Die zweite Musiktheaterproduktion ist die Kammeroper „Hanjo“ des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa in einer Neuinszenierung des spanischen Regisseurs Calixto Bieito im Landschaftspark Duisburg-Nord. Ein Stück nach einem No-Theaterspiel, das vor Strenge nur so strotzt und traditionell nur von Männern in Masken gespielt, getanzt und musikalisch begleitet wird. Dies wird ein fernöstliches Highlight werden wie das Gastspiel von Shichiseikai, eine Gruppe japanischer Mönche, die die buddhistische Gesangstradition Schomyo pflegt.
Luk Perceval inszeniert in der Maschinenhalle Gladbeck „Macbeth“ von William Shakespeare, auch der gilt nach Percevals Analyse ab sofort als Bodhisattva. Dass es auch in Shakespeares Stück um das Nichts gehen soll, muss er aber noch beweisen. König Duncan wird das bestimmt anders sehen. Insgesamt zeigt die RuhrTriennale 2011 34 Produktionen in über 130 Vorstellungen. Und es hat große Veränderungen gegeben, die Deckers Nachfolger Heiner Goebbels den Einstieg erleichtern und bereits historisch gewordene Strukturen zerschlagen. Die „Kreationen“ gibt es nicht mehr, die Reihe Reihe „A Century Of Song“ auch nicht. Das schafft Platz für Neues, die Musik kommt aber bei aller Leere nicht zu kurz: Das europäische Musikerkollektiv zeitkratzer trifft auf den japanischen Avantgarde-Musiker Keiji Haino und Christina Pluhar begibt sich mit der Fado-Sängerin Mísia auf eine musikalisch-tänzerische Reise. Das englische Hilliard Ensemble arbeitet erstmals mit dem Shakuhachi-Spieler Tadashi Tajima zusammen und der gute John Cale hat seine alten Scheiben im Schrank wiederentdeckt. Vielleicht alles ein bisschen viel westliche Realität, denn es gibt nur die eine Wirklichkeit. Alle Vielheit ist Illusion.
„RuhrTriennale 3“ I 26.8.-9.10.2011 I Jahrhunderthalle Bochum, PACT Zollverein Essen, Gasometer Oberhausen, Landschaftspark Nord Duisburg u.a. Tel: 0700 20 02 34 56
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