In Deutschland schießen die Poetry-Slams wie Pilze aus dem Boden. Dass es mittlerweile echte Meisterschaften und Preise zu gewinnen gibt, wundert heute niemanden mehr. Auch im Ruhrgebiet ist die Slam-Dichte hoch. Fast jede Ruhrstadt hat mittlerweile mindestens ein Aushängeschild in Sachen Poetry-Slam zu bieten. Wie bei vielen anderen Kulturveranstaltungen auch, haben es die kleinen Kommunen jedoch häufig schwer, sich gegen die großen Revierstädte zu behaupten. Die regelmäßig stattfindende „Sprechstunde“ in Witten, der einst „kleinsten Großstadt Deutschlands“, fand dagegen so viel Zuspruch wie ein Wartezimmer beim Allgemeinmediziner zur alljährlichen Grippewelle. Um den Fortbestand von „Wittens größtem Poetry-Slam“ muss man sich angesichts von neun SlammerInnen aus halb West-Deutschland und gut 80 zahlenden LiteraturkritikerInnen wirklich keine Sorgen machen. Auch an diesem Donnerstag eine, wenn auch hochgradig erkältete Bank in Sachen souverän-selbstironischer Moderation: Der Mönchengladbacher Poet, Autor und Alleinunterhalter Markim Pause. Angesichts der hohen Anzahl an SlammerInnen blieb ihm jedoch nur wenig Zeit für eigene Scherze. Er versicherte jedoch gleich zu Anfang, alle KandidatInnen persönlich besucht und die Texte auf Exklusivität geprüft zu haben - perfekteVoraussetzungen.
Angeschlagener Moderator bei der Arbeit: Markim Pause notiert die Publikumswertung. Foto: Benjamin Knoll
Die ersten sechs Minuten gehörten Jonas Konrad aus einem „Kaff im Hunsrück“, der komplett nachvollziehbar eine Verbindung zwischen Stroh, Pornografie und Goethe herzustellen wusste. Das studentische Melodram um einen jungen Mann und einen Bafög-Antrag folgte auf dem Fuß, sorgte aber weniger für poetischen Segen als für inhaltliche Zustimmung des Publikums. Von einer erschreckend einleuchtend diagnostizierten Fachidiotie führender Weltbürger über die Tücken von Geldobergrenzen beim Geschenkekauf, vorgetragen von „Nachgewürzt“-Mitglied Markus Jonas Jahn, hin zu nachdenklicheren Tönen in Gedicht und Sprechgesang. Dazwischen ein Abgesang auf das Internet inkl. dem Jugendwort 2012 „Yolo“, sowie Abhandlungen zu den Themen Hackfleisch, Silberfisch und Vater-Sohn-Ausflug zum Biberbaumarkt. Eine Vorrunde, die thematisch kaum abwechslungsreicher hätte sein können und erfreulicherweise auch mit verschiedenen Textgattungen aufwartete. Das fünf Slammer starke Halbfinale setzte vor allem auf Humor und lies dank gewohntem Publikumsentscheid Sascha Tamm aus Remscheid und den Wittener René Sydow ins Finale einziehen – beides beileibe keine Unbekannten im Slam-Sektor.
Letztgenannter Sydow, der schon in Vorrunde und Halbfinale mit einer erfrischend ausbalancierten Mischung aus ermahnender Sozialkritik und schwarzem Humor überzeugen konnte, sicherte sich letztendlich den Sieg mit einem Rückblick auf den ausgebliebenen Weltuntergang, den er schon fast pathetisch als Zeichen und Ansporn zu einem bewussteren Umgang im täglichen Miteinander auserkor. Das Wartezimmer Treff° Witten wurde an diesem Abend zum Austragungsort einer langen, aber durch und durch befriedigenden Sprechstunde, die einen verdienten Sieger hervorbrachte.
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