Umweltfreundlicher durchs Revier zu rollen, ist keineswegs nur Sache privater (Auto)Mobilisten: Nach erfolgreichem Testlauf in Bochum und Gelsenkirchen rüstet der Verkehrsverbund VRR jetzt den ÖPNV mit Hybridbussen hoch. Bis Mitte des Jahres werden an Rhein und Ruhr 21 Großraumfahrzeuge mit dem Kombi-Antrieb aus Strom und Diesel ausgeliefert. Ende 2011 sollen es schon doppelt so viele sein.
Zwei interne Schmankerl kennzeichnen den Bogestra-Liner auf der Strecke 368 zwischen Wanne-Eickel und dem Einkaufszentrum Ruhr-Park - neben der übergroßen „Hybrid“-Beschriftung - als Besonderheit. Der Kennzeichenrahmen verrät den Geburtsort Bolechowo, rund 180 Kilometer östlich von Frankfurt/Oder und Sitz des polnischen Herstellers „Solaris“. Die Frontschürze ziert zudem ein gestreckter grüner Dackel als Wappentier. Vorstands-Chefin Solange Olszewska deutet ihn so: „Lang wie ein Bus, kurze niederflurige Beine. Gemäßigter Appetit. Und vor allem umweltfreundlich.“
Zwei Jahre hat der erste Hybridbus NRWs im Streckennetz der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG den Praxistest absolviert. An Bord: ein 340-PS-Diesel und zwei 75 kW starke Elektromotoren. Nach über 100.000 Kilometern stellten die Bogestra-Techniker erfreut fest, dass der grüne Lang-Dackel mit Hybrid-Herz unbedingt alltagstauglich sei. Bis Tempo 15 rollt der 18-Meter-Gelenkbus rein elektrisch, danach übernimmt der Diesel den Vortrieb. Beim Abbremsen wird jedesmal die Dach-Batterie nachgeladen. Während die Bogestra-Flotte im Schnitt 60 Liter auf 100 Kilometer Metropolenstrecke vertilgt, der moderne Standardbus noch auf 54 Liter kommt, begnügt sich der Hybrid-Diesel mit 48 Litern des zunehmend teurer werdenden Sprits - „je nach dem, wie der Fahrer drauf ist“, sagt Bogestra-Experte Thorsten Schulz, „Wir haben jetzt 25 speziell geschulte Männer und Frauen, die sehr gut mit ihm umgehen können.“
Bochums Beispiel trägt Früchte. Weil im zur Ökonomie verdammten Personennahverkehr Emissionsminus und Spritsparen angesagt sind, hat der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr den Unternehmen zwischen Krefeld, Ennepe-Kreis und Dortmund noch 2009 Fördermittel für 21 Hybridbusse unterschiedlichster Fabrikate aus Deutschland, Polen, Schweden und der Schweiz besorgt. Der 85 prozentige Zuschuss vom Land ist hoch willkommen, denn die Personentransporter kosten - je nach Typ - zwischen 400.000 und 650.000 Euro. In diesen Tagen legte der VRR nach: zehn Millionen für 20 weitere moderne Busse in 2011 gelten als bewilligt.
Die Investition in die Doppelherz-Technik läuft unter den Augen der Wissenschaft ab: TÜV und die RWTH Aachen analysieren bis Mitte 2011 den aktuellen Flächentest auf unterschiedlichsten Strecken. So ist noch längst nicht amtlich, ob etwa ein serieller Hybrid, bei dem der Diesel quasi als Generator den (ausschließlichen) Stromantrieb speist, den Parallelantrieb wie bei Solaris übertrumpfen kann. „Am Ende wird vermutlich stehen“, glaubt Bogestra-Sprecherin Sandra Bruns, „dass es darauf ankommt, wo der Bus fährt: halbwegs ebene Stadtstrecke oder vielleicht hügeliger Außenbereich.“
Mit der neuen Technologie gilt ein bisheriges Reizthema als weitgehend erledigt. Wo ältere Diesel-Pkw und Laster allmählich aus den innerstädtischen Umweltzonen herausgehalten werden sollen, müssen auch Verkehrsbusse strengere Auflagen erfüllen. Da hört man gern, dass Hybridfahrzeuge bis zu 90 Prozent weniger Feinstaub-Partikel ausstoßen sollen. Der oft angemahnte Rußfilter werde dadurch
entbehrlich.
Ob die Diesel-Elektro-Kombination der Weisheit letzten Schluss darstellt, ist bei den Fachleuten allerdings mit Fragezeichen behaftet. Sicher: In der Motorenentwicklung ist noch „Luft“ - der Hubraum solch dicker Brummer sank schon von elf auf fünf Liter, die Leistung von 340 auf 218 PS (beim Mercedes „Citaro“). Fortschritte in der Batterieleistung sind dito kalkuliert. Und für die Alternativen Erdgas- oder gar Oberleitungs-Bus müsste die komplette Versorgungs-Infrastruktur umgekrempelt werden.
Doch da gibt es noch die Wasserstoff-Brennstoffzelle, wenngleich Experten durchblicken lassen, solche Vehikel kosteten derzeit „noch richtig Asche“. Von 1,6 Millionen für den normalen Stadt-Liner ist die Rede. Zwei Kleinbusse mit vergleichsweise schmaler Kapazität von 22 Fahrgästen leistet sich dagegen schon die „Vestische“ in Gladbeck und Bottrop, wo das W-Mobil neben Linienfahrten am Wochenende auch die Halde zur bekanntesten Ruhrgebiets-Landmarke „Tetraeder“ erklimmt. Wenn man so will: als besseres Sammeltaxi.
„Natürlich haben sie ihre Kinderkrankheiten“, räumt Norbert Konegen von der „Vestischen“ ein, und dass es auch Ausfälle gegeben habe. Überdies ist die Reichweite noch arg begrenzt, etwa 200 Kilometer - bei einer Reisegeschwindigkeit von 33 km/h. Sonst weniger. Aber dafür seien sie absolut emissionsfrei … und nahezu lautlos: „Außer den Reifengeräuschen hört man nix.“ Dies wiederum ist eine Vorstellung, die manchem Verkehrsexperten Unwohlsein bereitet. Insbesondere ältere Fahrgäste könnten ja im falschen Wortsinn vom Bus „mitgenommen“ werden. Bogestra-Mann Thorsten Schulz lehnt sich entspannt zurück. Der Diesel in „seinen“ Hybrid-Bussen komme vom US-Hersteller Cummings. Vor dem grünen Dackel-Bus mit dem kernigen Klang stehend überzeugt seine These aufs Wort: „Die Amis stehen darauf, dass man einen Motor auch hört.“
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