Ein Molekül, bestehend aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom, beschäftigt seit Wochen die politische Klasse Deutschlands und Europas. Wasser ist in aller Munde. Seit der Europäische Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen Michel Barnier seinen Entwurf einer sogenannten Konzessionsrichtlinie vorstellte, formiert sich in vielen Mitgliedsstaaten der EU eine breite Widerstandsbewegung. Waren bislang – zumindest in Deutschland – die Wasserwerke und Leitungsnetze überwiegend in kommunaler Trägerschaft, so droht nun eine gänzliche Privatisierung der Branche. Manche Märkte aber lassen sich schlecht liberalisieren. Diese Einsicht müsste sogar bei den wirtschaftsliberalsten Politikern in Berlin und Brüssel im Zuge der Diskussion angekommen sein. Wasser möchte, anders als Strom und Gas, dem Gesetz der Schwerkraft folgen. Wer den Wasserturm befüllt, ist der Anbieter. Auf dem Wassermarkt kann für den Kunden kein echter Wettbewerb herrschen. Die Privatisierung der Wasserversorgung sorgt eher dafür, dass die zu erwirtschaftenden Gewinne nicht in öffentliche Kassen fließen, sondern die Bilanzen großer Unternehmen aufhübschen. Die Möglichkeit, bei einem monopolistisch strukturierten Markt große Gewinne zu erzielen, ist verlockend.
Demokratie ist machbar, auch für alle europäischen Nachbarn
Warum aber werden die bisherigen Versorgungsstrukturen von der Europäischen Kommission in Frage gestellt? Das Motiv für eine Neuregelung war durchaus edel. In einigen EU-Staaten werden öffentliche Dienstleistungen in eher undurchsichtigen Verfahren an Private vergeben. Um Korruption zu verhindern, will die EU nun eine europaweite Ausschreibung öffentlicher Dienstleistungen vorschreiben. Darunter fällt auch die Wasserversorgung. Dabei entgeht dem Brüsseler Mikrokosmos, dass die Verhältnisse in den verschiedenen Mitgliedsstaaten nicht zu vergleichen sind. In Deutschland ist die Wasserversorgung zu einem großen Teil in kommunaler Trägerschaft. Dort, wo sich Private eingekauft haben, möchten die Kommunen und kommunalen Verbände ihre Anteile inzwischen oft wieder zurückkaufen. Hier offenbart sich eine Schwäche der Europäischen Einigung. Europaweit geltende Verordnungen und Gesetze können regional oder national funktionierende und sinnvolle Strukturen zerstören. Europa schreibt vor, wie groß Äpfel und Birnen sein müssen. Europa schreibt vor, dass es nicht mehr Diplom- sondern nur noch Bachelor- und Masterstudienabschlüsse gibt. Und nun will Europa vorschreiben, dass der deutsche Wassermarkt in das Haifischbecken der internationalen Finanzmärkte verlagert wird. Dass diese Fehlentwicklungen in den Büros der Europäischen Kommission und nicht etwa in dem demokratisch gewählten Europäischen Parlament ihren Ursprung haben, fördert bei vielen Menschen ein generelles Unbehagen bezüglich des Projekts Europa. Die Europäische Kommission, ein von den Regierungschefs der Mitgliedsstaaten zusammengewürfelter Haufen, wirkt nicht gerade demokratisch legitimiert. Eigentlich müsste das Europäische Parlament eine Europäische Regierung wählen. So weit geht bislang der Mut der Beteiligten nicht. Die Angst vor einer legitimen europäischen Regierung fördert also letztlich die Angst vor Europa. Ein Gutes aber hat der Streit der letzten Monate: Noch nie zuvor hat sich eine so breite Widerstandsbewegung organisiert, um der Brüsseler Bürokatie die Stirn zu bieten. Bereits über 1,2 Millionen Unterschriften hat die Kampagne right2water gesammelt, und man ist optimistisch, bis September die Zwei-Millionen-Grenze zu überschreiten. Die Pläne von Kommissar Michel Barnier werden also nicht stillschweigend im Europaparlament durchgewunken. Den Europaskeptikern zum Trotz ist bewiesen: Demokratie ist machbar, auch für alle europäischen Nachbarn.
Eines der Hauptargumente gegen die Privatisierung ist neben mangelnder Versorgungssicherheit und steigender Preise der drohende Qualitätsverlust. An vielen Orten in Deutschland hat Leitungswasser eine höhere Qualität als teures Mineralwasser. Kann dies so bleiben, wenn erst einmal ein Lebensmittel- oder Energiemulti für unser täglich Wasser zuständig ist? Oder sind nur staatliche Versorgungsstrukturen Garant für sauberes Leitungswasser? Vor sieben Jahren wurde im Trinkwasser von Arnsberg eine um das Fünffache über den Grenzwert liegende Konzentration von Perfluorierten Tensiden (PFT) gefunden. Dieser wahrscheinlich krebserregende Stoff gelangte durch aus Industrieabfällen hergestellten Dünger zuerst auf die Felder, dann in Möhne und Ruhr und letztlich über den Morgenkaffee in den Menschen. Hier griff die Kontrolle des Wassers erst sehr spät. Der PFT-Skandal zeigte, dass öffentliche Wasserversorger nicht fehlerfrei handeln. Aber der Verursacher für die Brunnenvergiftung war ein Geschäftsmann, der Besitzer einer Bodenaufarbeitungsfirma. Er steht inzwischen vor Gericht. Private Firmen sind also kein Garant für sauberes Wasser.
www.right2water.eu
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