trailer: Frau Jahnke, wenn Sie oben auf dem Gasometer stehen, sehen Sie im Sturmesbrausen nicht mehr Ihr Oberhausen?
Gerburg Jahnke: Ich sehe dann zumindest sehr viel Sturmesbrausen. Am meisten stört mich, dass es kein Konzept für diese Stadt gibt. Es gibt nur einzelne Interessen. Viele Bürgerinitiativen wollen für ihr Viertel Verantwortung übernehmen, vielleicht sogar Geld investieren. All das wird von offizieller Seite nicht wahrgenommen, nicht koordiniert. So ein Verhalten kann sich aber eine Ruhrgebietsstadt, die gerade am Abkacken ist, nicht leisten.
Werden die Kulturorte wie zum Beispiel das Ebertbad ausreichend gefördert?
Wir haben uns ja daran gewöhnt, dass wir keine öffentliche Unterstützung bekommen. Aber der Staat hört da ja auch nicht auf zu nehmen. Da klopft das Finanzamt, das Ordnungsamt, die GEMA-Mafia, die Künstlersozialkasse. Feuerfeste Türen, Abluftanlagen, Sicherheitsbedenken. Da denk ich mir: Wenn man uns schon nicht mehr fördert, soll man uns in Ruhe arbeiten lassen. Das macht die Veranstalter durch die Hintertür kaputt. Ich bin sehr sauer darüber.
Was kann man da machen?
Mein Medium ist, darüber zu sprechen. Gern wenn mich jemand danach fragt. Aber auch ungefragt.
Das haben Sie ja schon zu Zeiten der Missfits gemacht …
Jetzt reden wir aber nicht über die Missfits. Da ist bereits genug drüber gesagt worden, und es gibt es ja auch ein Buch darüber.
OK. Aber der Weg von einer kleinen Theatergruppe, deren Namen ich jetzt nicht nennen soll, bis zu regelmäßigen Shows im Fernsehen war doch lang?
Begonnen hat das Ganze mit der Sendung „Missfits und Verwandtschaft“, die Steffi und ich gemeinsam gemacht haben. Dann gab es die Serie „Der Tod ist kein Beinbruch“. Da wollten wir beide weitermachen. Die Sendung ist dann aber von einem nichtsahnenden Redakteur, der andere Prioritäten setzen wollte, gekippt worden. Ach ja, nicht nur die GEMA und das Ordnungsamt, auch Redakteure und Dramaturgen sollte man abschaffen. Nicht alle, aber einige. Gute Taxifahrer werden immer gesucht.
Und jetzt gibt’s die „Ladies Night“.
Ja, die hat sich super entwickelt. Das hätte man am Anfang nicht gedacht. Die Fernsehchefin hat die „Ladies Night“ zunächst behandelt wie eine Nischensendung. Frauen sind Nischenprobleme. Das hat sich dann aber schnell durch die Einschaltquote geklärt. Auch die anfängliche Befürchtung, dass der Vorrat an bühnentauglichen Frauen in Deutschland nicht ausreicht, hat sich nicht bewahrheitet. Wir entdecken immer wieder neue – auch junge! – Frauen. Manche sind noch nicht ganz fertig, müssen vielleicht noch zwei Jahre auf die Weide. Trotzdem können sie Ausschnitte aus ihren Programmen zeigen. Nicht alle Kabarett-Frauen sind großartig. Aber auch nicht alle Kabarettisten sind großartig. Bei den Frauen wird die Messlatte aber viel höher gelegt. Jede Frau wird gemessen an Georg Schramm und Volker Pispers.
Ist Kabarett von Frauen anders als von Männern? Geht’s da mehr ums Herz?
Es gibt wenige politische Kabarettistinnen. Viele Kolleginnen beschäftigen sich mit sozialpolitischen Themen. Und dann gibt es die Comedy-Frauen, die wie ihre männlichen Kollegen in jeder Nummer 120 Themen mit je ein bis zwei Gags abhandeln.
Ihr Kopfschütteln habe ich jetzt nicht auf Band.
Ach, wenn ich mir britische Comedy anschaue, bin ich ganz entspannt. Aber bei der deutschen Comedy denk ich immer an Fips Asmussen. Alles wird in zwei Minuten abgehandelt. Es geht um den schnellen Lacher. Das ist wie bei McDonalds essen gehen. Ich kann Comedy nicht. Manche können das gut. Deshalb finde ich es auch richtig, die Comediennes in die „Ladies Night“ einzuladen.
Fungiert die „Ladies Night“ nicht auch so ein bisschen wie eine verordnete Quote für DAX-Unternehmen?
Wir haben zumindest eine gewisse Aufmerksamkeit auf weibliches Schaffen in dieser Szene erreicht. Die meisten Veranstalter kennen gar keine Frauen. Die muss man drauf stoßen. Wir touren ja auch mit den Frauen durchs Land. Für die Veranstalter ist das dann schon ein Aha-Erlebnis, wenn ihnen unbekannte Frauen das Publikum begeistern. Die Frauen bleiben bislang die Exotinnen.
Eine ganz spannende Frage: Gibt es einen spezifischen Ruhrgebietshumor?
Tatsächlich, die Frage höre ich zum ersten Mal. Ich glaub schon. Ja. Wenn man als Künstler zum Ruhrgebiet eine Beziehung hat, schlägt sich das in der Arbeit nieder. Auch die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern sind getrieben von den Volksstamm-typischen Eigenschaften. Woanders gibt es Langsamkeit, Bedächtigkeit, Detailverliebtheit. Wir sind hier das Gegenteil: schnell, intelligent, bringen die Sachen auf den Punkt. (lacht)
Existiert im Ruhrgebiet ein West-Ost-Konflikt?
Bei Dortmund rätseln ja viele, ob das überhaupt noch zum Ruhrgebiet gehört. Lioba Albus hat letztens zugegeben, Dortmund wäre das Tor zum Sauerland. Aber was ist ein Tor? Gehört ein Tor noch zur Stadt? Bei Dortmund sollte man die Frage schon stellen. Abgesehen von diesen Neckereien ist vor allem die Arm-Reich-Schere wichtig. Der Essener Süden hat weniger Probleme als Oberhausen. Schalke hat weniger Probleme als Rot-Weiß Oberhausen.
Werden Sie linker?
Nein, ich werde ungehalten. Alle haben so viel Geduld. Wir, die wir nicht weggehen wollen oder können, müssen daran arbeiten, dass in der Stadt etwas passiert. Hier auf dem Parkplatz vor dem Ebertbad stehen an vielen Abenden Autos, die richtig Kilometer hinter sich gebracht haben. Wir geben uns Mühe, die Stadt attraktiver zu machen.
Sollen wir noch über Nichtraucherschutz reden? Wir sitzen ja jetzt draußen.
Ich werde den ganzen Sommer draußen sitzen. Im Oktober wird uns schmerzlich bewusst werden, dass es keine Raucherclubs mehr gibt. Ich überlege, ob ich nicht für sechs Freunde an einem Abend in der Woche mein Wohnzimmer öffne und darauf baue, dass mir andere nacheifern.
Welche Zukunftspläne haben Sie?
Unsere Generation wird hier demnächst königlich behandelt werden. Die Bevölkerungspyramide ist ja schon lange keine Pyramide mehr. Sie ist jetzt eine Zwiebel und bald wird sie zum Atompilz. Die Diktatur der Alten finde ich einen interessanten Gedanken. Die Entwicklung hier im Ruhrgebiet wird dramatisch. Zum einen gibt es die arbeitslosen, perspektivlosen, geldlosen Jugendlichen, und auf der anderen Seite die Alten, die ihre Ruhe haben wollen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir das dann aus nächster Nähe anschauen möchte. Aber das dauert ja noch.
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