Pornografie galt eigentlich immer als unfein, und alleine mit der Behauptung, ein Text sei pornografisch, ließen sich Werke wie „Ulyssees“ von James Joyce, Henry Millers „Sexus“ oder „Die Geschichte der O.“ von Anne Duclos verbieten. Die damalige Lektorin wählte das Pseudonym Pauline Réage für die Veröffentlichung, aber man vermutete hinter dem Namen einen Mann, weil sich über Jahrzehnte hinweg niemand vorstellen mochte, dass der Roman von einer Frau geschrieben sein konnte. Heute recken hingegen wahlweise für die Generationen der über 50-Jährigen oder der 20-Jährigen Madonna bzw. die ehemalige Disney-Schauspielerin Miley Cyrus die Hinterteile ihrem Publikum mit auffordernder Aggressivität entgegen.
Frauen beginnen auch hier die Richtung vorzugeben. Gerade in dieser stets den Männern zugeordneten Domäne soll weibliches Selbstbewusstsein treffend demonstriert werden. Das Recht auf die eigene Lust impliziert eben auch das Recht auf die eigenen Fantasien, und Pornografie ist Fiktion, die freilich mit realer Sexualität erzählt wird. Sie ist nicht intim, weil zur Intimität eine Beziehung von zwei bewussten Subjekten und deren Geschichte gehört. Dafür ist sie aber stets konsumierbar. Dennoch gibt es ein Tabu, weil in der westlichen Welt eine stille Übereinkunft darüber herrscht, dass sich weibliches Verlangen im Bereich des Erlaubten abzuspielen hat. In dieses Halbdunkel des gesellschaftlichen Konsens brechen jetzt zwei Romane mit provokanten Heldinnen ein, für die Sex ein mächtiges Werkzeug ihrer Vorstellung von Selbstverwirklichung darstellt.
So erfindet die Kanadierin Tamara Faith Berger für ihren Roman „Pussy“ die 16-jährige Myra. Sie begegnet dem doppelt so alten Elijah, während sie mit ihrer Familie in Key West Urlaub macht. Myra fühlt sich von Elijah, seinem dunkelhäutigen Körper und seiner lässigen Lebensweise angezogen. Und Elijah taucht bald mit seiner Lebensgefährtin in Toronto auf, wo Myra mit ihren Eltern lebt, die gerade dabei sind, sich zu trennen. Tamara Faith Berger beschreibt explizite Sexszenen, die ihre junge Heldin bewusst initiiert, und zugleich ziehen sich durch den Roman Zitate von Simone Weil, der christlich-jüdischen Philosophin. In ihren Aphorismen wird deutlich, wie eng sich in der Pornografie Macht und Medien miteinander verschränken. – Immer wieder ergeben sich Muster der Abhängigkeit zwischen Arm und Reich, Weiß und Schwarz, Männern und Frauen, die klug mit sexuellen Fantasien assoziiert werden. Simone Weil erinnert jedoch daran, dass „die Wirklichkeit, hart und rau (ist). Man findet dort Freuden, aber keine Annehmlichkeiten. Was angenehm ist, ist Träumerei.“ Myra erlebt sowohl die Lust an der pornografischen Fantasie als auch den Zusammenstoß mit der Wirklichkeit, der ihr dann den Appetit verhagelt.
Alle Theorie lässt die in Ohio lehrende Dozentin Alissa Nutting in ihrem Roman „Tampa“ hinter sich. Celeste Price ist Lehrerin an einer Junior Highschool, eine Triebtäterin, die alles daran setzt, 14-jährige Jungs zu verführen. Alissa Nutting köchelt eine giftige Mischung zusammen. Weibliche Erotik und die Lust an männlichen Körpern verschmelzen mit einem kräftigen Schuss Humor und den amoralischen Intentionen einer Protagonistin, die in ihrer Erzählung keinen Zweifel daran lässt, dass sie sich für therapieresistent hält. In den USA hat man den Roman mit „American Psycho“ und „Lolita“ verglichen. Er ist allerdings weder blutig noch mit nabokovscher Finesse ausgestattet, und seine Prosa könnte deutlich straffer gefasst sein. Dennoch, hier geschieht das Unerhörte, weibliches Begehren nimmt lustvoll-boshafte Züge an, das liest sich luzide und verändert zugleich den Blick auf die männlichen Stereotypen der Pornografie. Das Erfrischende an beiden Romanen tritt in der Entschlossenheit zutage, mit der Berger und Nutting demonstrieren, dass Frauen das Spiel mit dem unmissverständlichen Sex augenzwinkernd mitzuspielen verstehen.'
Tamara Faith Berger: Pussy | Metrolit | 220 S. | 15 €
Alissa Nutting: Tampa | Hoffmann & Campe | 288 S. | 19,99 €
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