Es ist inzwischen relativ ruhig geworden um den Dortmunder Norden. Vor knapp drei Jahren noch wurde um den Sperrbezirk, der Straßenprostitution im ganzen Stadtgebiet verbieten sollte, heftig gestritten. Ortsansässige Lokalpolitiker machten sich für diese Regelung stark, die die weitere Ghettoisierung des Problemviertels stoppen sollte. Huren wiederum protestierten, veranstalteten eine Demonstration. Die Positionen standen unversöhnlich gegeneinander. Nach dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien zur Europäischen Union erschwerte der massenhafte Zuzug von Menschen aus Südosteuropa einen rationalen Umgang mit dem Thema. In sogenannten „Ekelhäusern“, in denen viel mehr Menschen wohnten als ursprünglich vorgesehen, herrschten katastrophale hygienische Verhältnisse. Ein weiterer sehr augenscheinlicher Ärger für die „Ureinwohner“ des Dortmunder Nordens war der sich immer mehr ausweitende Straßenstrich. Dieser wurde dann vom Rat mit Billigung der Landesregierung im Frühjahr 2011 verboten. Für Prostituierte und Freier hagelte es Knöllchen. Durch das harte Durchgreifen, so berichtet Andrea Hitzke von der Dortmunder „Mitternachtsmission“, habe sich die Lage für die Anwohner inzwischen entspannt. Der Zuzug aus den Balkanländern sei abgeebbt, die befürchtete Verlagerung der Prostitution in andere Städte oder in Kneipen und Wohnungen habe nicht in dem Maße stattgefunden wie erwartet. Nur für die Frauen, die noch immer an der Straße stehen müssen, habe sich die Lage durch die Sperrbezirksregelung weiter verschlechtert.
Trotzdem stellt sich die Frage, wie im Ruhrgebiet mit dem Thema Prostitution umgegangen werden soll. Dabei gilt es zu differenzieren. Wie im normalen Leben gibt es auch im Milieu eine Unter-, Mittel- und Oberschicht. Am stärksten sozial deklassiert sind diejenigen, die in der Illegalität arbeiten. Zwar ist seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes im Jahr 2002 die Arbeit im sogenannten horizontalen Gewerbe erlaubt und das Honorar für sexuelle Dienstleistungen sogar einklagbar, dies gilt aber nur für volljährige Frauen aus EU-Ländern. Viele Frauen aus dem Nicht-EU-Ausland werden von Menschenhändlern gezwungen, hier als Prostituierte zu arbeiten. Da sie oft kaum Deutsch sprechen, ihre Rechte nicht kennen und sogar um ihr Leben und das ihrer Familien in den Heimatländern fürchten müssen, sind sie ihren „Begleitern“ völlig hilflos ausgeliefert. Obwohl Menschenhandel hart bestraft wird, sind die Behörden oft machtlos. Nur wenige Betroffene trauen sich, gegen ihre Peiniger auszusagen.
Prostitution, um an Markenklamotten zu kommen
Auch Menschen, die sich auf Grund ihrer Drogensucht prostituieren müssen, profitieren von der noch von der rot-grünen Bundesregierung geschaffenen Regelung nicht. Wer ein paar Euro für den nächsten Schuss braucht, pfeift auf die Inanspruchnahme von Sozialversicherungen und die Einklagbarkeit des Lohnes. Hier können nur Beratungsangebote, Suchttherapien und für viele die Abgabe von Methadon oder Heroin helfen auszusteigen. Sperrgebietsverordnungen greifen bei diesen Menschen nicht.
Dringend zur Diskussion gestellt werden sollte der Umstand, dass sich immer mehr Minderjährige prostituieren müssen. Oft sind dem Einstieg ins Milieu Gewalt- und Missbrauchserfahrungen vorangegangen, berichtet Andrea Hitzke. Manche Mädchen prostituieren sich aber auch, um an Markenklamotten zu kommen, oder weil sie einen „falschen Freund“ kennengelernt haben. Bei vielen der Betroffenen hilft auch hier kein Verbot, sondern nur verständnisvolle, annehmende Hilfe.
Nicht alle Frauen, die sich prostituieren, werden hierzu gezwungen. Noch ist der Beruf „Hure“ zwar nicht gesellschaftsfähig, selbstverständlicher als vor Jahrzehnten ist er allemal. Im September feierten die Betreiber der Bordelle in der Flaßhofstraße in Oberhausen zum 50. Jubiläum des Rotlichtviertels ein Straßenfest mit Würstchen, Sekt und 500 Litern Freibier. Man wollte, so der Besitzer eines Hauses dort, den Nachbarn die Angst vor der verruchten Adresse nehmen. Auch in Dortmund gibt es nicht nur Negativschlagzeilen zum Thema. In der Dokumentation „Wir die Wand“, die vor kurzem in Kinos und später auch im WDR-Fernsehen lief, geht es eigentlich um die Südtribüne des Westfalenstadions. Portraitiert werden BVB-Fans: ein ehemaliger Bergmann, ein Ultra, eine Rentnerin, ein Hochschulprofessor und – eine Prostituierte. „Wenn Heimspiel ist, ist unser Haus leer, dann habe ich keine Einbußen, wenn ich ins Stadion gehe“, erklärt die junge Frau vor laufender Kamera. All die Frauen, die unter verhältnismäßig sicheren Bedingungen in Clubs arbeiten oder selbstständig sind, mag man mit etwas gutem Willen zur Mittelschicht des Milieus zählen. Diese Frauen verdienen zwar nicht so viel, wie oft von Außenstehenden angenommen, sie leben aber auch nicht in materiellem Elend. Was sie wie andere, die in pflegenden Berufen arbeiten, auf jeden Fall verdienen? Unseren Respekt. Bleibt nur die Frage, wer die Oberschicht im angeblich ältesten Gewerbe der Welt darstellt. In der Chefetage mit entsprechender finanzieller Ausstattung sind sicher die zu verorten, die von illegaler Prostitution profitieren, die organisierten Drogen- und Menschenhändler. Auch hier wird die Realwelt abgebildet: Die ganz Großen verdienen durch die ganz Kleinen. Und auch hier gilt: Eine feste Frauenquote in der Chefetage ist nicht vorgesehen.
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