Lässt in seinen Geschichten Salvator Dalí und Flavor Flav zum Uhrencheck antreten: Jan Philipp Zymny
Foto: Lektora Verlag
„Lustige Texte sind eine Form von Selbstschutz“
28. Juni 2012
Jan Philipp Zymny, 19, beim großen Poetry Slam-Abend am 7.7. auf der Wortschatzbühne von Bochum Total - Bochum Total Interview 2012
Auch bei Bochum Total gibt es noch Premieren. So am 7.7., wenn ab 22 Uhr auf der trailer-Wortschatzbühne der erste Poetry Slam auf Europas größtem Innenstadtfestival steigt. Dabei trifft eine erfahrene Slammer-Riege um Sebastian23, Torsten Sträter und Slam-Urvater Wolf Hogekamp auf junge Wortakrobaten wie Johannes Floehr oder Jan Philipp Zymny. Mit Letzterem sprach trailer über die Slam-Szene, den Sinn und Unsinn von Pointen und die Not nach Performance in der Literatur.
trailer: Herr Zymny, auf Ihrer Homepage ist zu lesen, dass sie eigentlich nicht mehr als ein richtiger Junge sein wollten. Was kam dazwischen? Jan-Philipp Zymny: Das ist eine Formulierung, die aus einer Selbstbeobachtung kommt. Und zwar habe ich irgendwie den Eindruck gehabt, dass ich nie 100% normal gewesen bin. Das ist aber eigentlich eher als Gag gedacht. Erstaunlicherweise werde ich häufig darauf festgenagelt und gefragt: „Was soll das denn eigentlich bedeuten?“ Es geht nur darum, dass ich mir einbilde, etwas anders zu sein.
Was war bei Ihnen der treibende Faktor? Das Slammen als Performance oder Dichten als Schreibprozess? Ich dichte eigentlich relativ wenig. Ich erzähle mehr Geschichten, Geschichten habe ich auch schon geschrieben und erzählt, bevor ich mit dem Slam angefangen habe, was ja ein Grund dafür war, dass ich immer irgendwie etwas anders war. Als ich dann zum Poetry Slam gekommen bin, war dann doch der treibende Faktor, etwas vorzustellen und da zu stehen, um was zu erzählen. Am Anfang ist das Schreiben ein bisschen in den Hintergrund gerückt, mittlerweile versuche ich, es wieder hervorzuholen.
Sie gelten als einer der bekannteren Nachwuchsslammer. Wie erleben Sie selbst die Slam-Szene? Sehr familiär. Ich finde es toll, dass man die Leute, die viel unterwegs sind, ständig trifft – sofern man selbst unterwegs ist. Irgendwo ist dann der Punkt erreicht, an dem man durch die Gegend fährt, nicht nur, um zu slammen, sondern auch, um Freunde zu treffen. Aber wie bei jeder Familie ist es dann auch so, dass es den komischen Onkel gibt, bei dem man nicht weiß, was man mit ihm anfangen soll, oder den Vetter, den man so gar nicht mag …
Wenn Sie eine bestimmte Voraussetzung fürs Slammen nennen müssten – was wäre das Ihrer Meinung nach? Eine Voraussetzung für das Slammen ist sicherlich die Toleranz, sich in das Format zu fügen und damit klarzukommen, dass man bewertet wird, und dass man mal eine schlechte Bewertung bekommt, denn das gehört genauso dazu, wie eine gute Bewertung zu bekommen. Man muss eine dicke Haut dafür entwickeln. Das kann natürlich immer mal vorkommen, man darf sich davon nicht entmutigen lassen, schon allein aus folgendem Grund: Ich persönlich nehme den Wettbewerb gar nicht so ernst. Ich vertrete die Idee, dass der Wettbewerb ein Trick ist, damit die Leute zuhören. Denn dadurch, dass sich das Publikum in der Position sieht, zu bewerten, ist es natürlich viel aufmerksamer, als wenn es nur da säße und sich berieseln ließe. Die andere Funktion, die der Wettbewerb erfüllt, ist, von dieser Wasserglas-Lesung wegzukommen und so einen Abend interessanter und spannender zu gestalten.
Ihre Texte leben oft von der Ironie oder der Absurdität in bestimmten Situationen. Braucht ein Slam-Text stets eine bestimmte Portion Komik?
Jan Philipp Zymny
Foto:Lektora Verlag
Jan Philipp Zymny wurde 1993 in Wuppertal geboren. Er ist einer der bekanntesten Nachwuchsstars der Poetry Slam-Szene. 2010 erstmals mit dem Thema Poetry Slam konfrontiert, nahm er noch im selben Jahr an den Deutschsprachigen Meisterschaften teil. 2011 folgten das Abitur und die Wuppertaler Stadtmeisterschaft im Poetry Slam sowie die Deutsche Meisterschaft in Hamburg. Sein erstes Buch „Hin und zurück – nur bergauf“ ist im Lektora Verlag erschienen.
Nein. Es gibt auch wunderbare und herrliche Slam-Texte, die ohne jede Form von Komik auskommen. Wobei ich jetzt Komik im reinen Sinne von „lustig“ definiere. Man kann Komik auch weiter fassen, oder den Begriff des Witzes, der Pointe. Wenn man eine Pointe viel allgemeiner definiert, als überraschende Wendung, dann hat wahrscheinlich jeder Slam-Text eine gewisse Pointe drin, das ist aber natürlich. Es ist ein sprachliches Konstrukt, das wir einfach brauchen, um Sachen interessant zu machen, sonst plätschert die Geschichte vor sich hin. Wenn man das so definiert, hat jeder Text eine gewisse Form von Komik, einfach weil jeder Text eine Pointe drin hat. Aber wenn man jetzt Komik im „Ha-ha-lustig“-Sinne definiert, dann überhaupt nicht, dann gibt es auch viele tolle Texte, die ohne Form von Komik auskommen.
Es gibt aber oft die Steigung hin zur Pointe. Ich war lange Zeit auch der Ansicht, dass es einfacher ist, die Leute mit Humor für sich zu gewinnen, dass es einfacher ist, ein Publikum mit Humor zu begeistern, und dass es wesentlich schwieriger ist, es mit einem traurigen Text zu begeistern. Das stimmt aber gar nicht. Ich würde dies jetzt, wo ich etwas länger dabei bin, revidieren und sagen, dass es ebenso schwierig ist, gute humoristische Texte zu verfassen wie gute traurige. Meiner Meinung nach ist der Schritt in Richtung lustiger Texte einfacher als zu sagen, ich schreibe jetzt ernste oder traurige Texte. Wenn man einen ernstgemeinten Text schreibt und sich auf die Bühne stellt und die Leute das nicht mögen, dann hat man immer auch direkt das Gefühl, dass sie einen selbst nicht mögen, weil man seine wirklich ernstgemeinten Ansichten vertritt. Wenn man einen lustigen oder ironischen Text macht und damit auf die Bühne geht, kann man sagen: „Das ist ja auch alles nicht ernst gemeint.“ Man kann damit einfacher umgehen, insofern sind lustige Texte eine Form von Selbstschutz.
Ist es für Sie wichtig, dass der Poetry Slam als Teil der deutschen Literatur angesehen wird? Ich halte es schon für wichtig, weil es de facto eine Spielart der Literatur ist. Ich sage mal, in 80% der Fälle findet Literatur zwischen zwei Buchdeckeln statt. Es ist auch eine Bemühung, die Literatur da rauszuziehen, mit Performance zu versehen und schnell und aufregend zu machen. Aber im Enddefekt ist es eine Form von Literatur. Die Leute sitzen zu Hause, schreiben einen Text und tragen den dann vor. Es ist diese neue Ebene des Vortragens, die noch stärker gewichtet wird. Sonst war es immer ein Nebending. Autoren haben Bücher geschrieben, und die konnte man kaufen, selber gelesen, oder bestenfalls gab es so eine Wasserglas-Lesung.
Beim Bochum Total-Slam ist die Situation etwas anders: Es ist Open Air, und es gibt ein pendelndes Publikum. Was ändert sich beim Slam für Sie? Die Stimmung ist natürlich eine ganz andere, die Atmosphäre ist völlig anders. Wenn man in einem vollen Raum ist, wo die Leute am besten noch stehen und es dunkel und warm ist, dann hat man schnell diese Rock-Atmosphäre geschaffen. Wenn das Open Air ist, dann ist das schon ein Problem mit der Akustik, weil das meiste in den leeren Raum verpufft. Wenn dann noch ein pendelndes Publikum da ist, dann wechseln die Zuhörer ständig. Man muss im Bruchteil einer Minute versuchen, die Leute zu begeistern, heranzuziehen und dort möglichst lange gefangen zu halten. Aber ich meine, wir werden uns einen schönen Abend machen und viel Spaß haben, und wenn die Leute das mitkriegen, dann bin ich guter Hoffnung, dass sie dann auch kommen und sich das angucken.
INTERVIEW: DAWID KASPROWICZ
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