„Ich bin noch nie zu so vielen Lesungen eingeladen worden wie mit diesem Buch“, konstatiert der Glauser-Preisträger zum Auftakt eines spannenden Krimi-Abends. Als Grund hierfür kann zum einen der sprunghafte Anstieg rechter Gewalt gegen Asylbewerber in den letzten Monaten betrachtet werden sowie eine spektakuläre These, die Horst Eckert in „Wolfsspinne“, seinem inzwischen fünfzehnten Roman, unter die kriminalistische Lupe nimmt: Eckert findet es „höchst zweifelhaft“, dass an der dem sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugeschriebenen Mordserie an neun Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund sowie einer Polizistin in den Jahren 2000 bis 2006 lediglich drei Personen beteiligt waren. Auch stellt der gebürtige Oberpfälzer infrage, dass es sich beim Tod der NSU-Täter Böhnhardt und Mundlos 2011 in Eisenach um einen Doppelsuizid gehandelt habe und hinterfragt die dubiose Rolle des Verfassungsschutzes, der durch Aktenvernichtung aktiv Spuren verwischt habe, die wesentlich zur Aufklärung der Mordserie sowie der mutmaßlichen Selbsttötungen hätten beitragen können.
Doch bevor Horst Eckert nach kurzer Einführung von Astrid Knoche (Kulturbüro Hagen) den rund 40 Gästen seinen NSU-Krimi vorstellt, bringt er mit einem Kurzkrimi aus der aktuellen „Mord am Hellweg“-Anthologie „Glaube – Liebe – Leichenschau“ (Grafit 2016) eine gute Portion Lokalkolorit ins Wehringhauser Kulturzentrum Pelmke. Im Fokus der Erzählung steht ein Lokalzeitungsredakteur, dessen krebskranke Ehefrau unter dem Einfluss eines angeblichen Wunderheilers ihre Chemo-Therapie abbricht und kurz darauf stirbt. Zuvor hatte sie noch heimlich eine Hypothek aufgenommen, um die Dienste des dubiosen „Heiler[s] von Hagen“ zu finanzieren. Als dann auch noch die Tochter unter den suggestiven Einfluss des Quacksalbers gerät, schreitet der Redakteur zur Tat und beschafft sich eine Handfeuerwaffe, mit der er den selbsternannten Heiler in dessen Villa unweit der A45 ins Jenseits befördert.
Mit satirischen Anklängen wird hierbei nicht nur der verkehrspolitische Frevel aufs Korn genommen, am Rande eines Jugendstil-Villenviertels eine Autobahn zu bauen. Auch die Schildbürgerstreich-Debatte um die Schaffung einer Touristenattraktion in Krisenzeiten setzt absurde Akzente, mit denen lokalpolitischer Dilettantismus in der hoch verschuldeten Kommune demaskiert wird: „Ein privater Investor wollte in der waldreichsten Stadt des Landes einen Baumwipfelpfad errichten. Arbeitsplätze würden geschaffen, Touristenströme fließen.“ Um die geplanten „[e]ineinhalb Kilometer Brettersteig mit Aussichtsplattformen und einem Hotel aus Baumhäusern“ ist „heftiger kommunalpolitischer Streit“ entbrannt: „Hagen brauchte wirtschaftliche Belebung, meinten die einen. Aber keine Kirmes im Wald, mauerten die anderen.“
Eine solche Akzentuierung vermeintlicher Provinzpossen ist kein Zufall bei Horst Eckert: „Mich interessieren lokalpolitische Geschichten immer, wenn ich über eine Stadt schreibe“, bekennt der Autor nach der Lesung. So auch in der Erzählung „Wege zum Ruhm“, die 2006 in der Kurzkrimi-Sammlung „Blutgrätsche“ (Grafit 2006) erschien, mit der Eckert 2007 abermals für den bereits 2001 erhaltenen Friedrich-Glauser-Preis nominiert wurde. Dort geht es um den Abriss des Düsseldorfer Rheinstadions und die kostspieligen Neubau-Pläne einer Arena mit Schiebedach im Zuge der Fußball-WM 2006. Dieses Vorhaben brachte damals die schwarz-gelbe Koalition in der Landeshauptstadt ins Wanken – und Eckerts kriminalistische Kritik hieran habe das Verbot einer Lesung durch das Büro des Oberbürgermeisters nach sich gezogen. Dies wird dem Düsseldorfer mit seinem NSU-Krimi „Wolfsspinne“ hoffentlich nicht passieren – auch wenn es den einen oder anderen Verfassungsschützer vielleicht in den Fingern jucken mag...
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