Wenn die eigene Kabarett-Reihe den einprägsamen Namen "Nachgewürzt" trägt, dann ist da erst mal überhaupt nichts gegen einzuwenden. Wenn aber die sich durch den Namen fast aufdringlich-logisch ergebenen, rhetorischen Steilpässe allesamt schonungslos auf der Homepage der Show verwandelt werden, darf man sich zumindest ein bisschen über diese einfallslose Lieblosigkeit ärgern. Von "vier verschiedenen Kleinkunstköchen" ist die Rede, die "regelmäßig ihren Senf" zu jüngsten Ereignissen dazu geben. "Für jeden Geschmack sei etwas dabei" und außerdem wird jede Show von einem "erlesenen Gast garniert". Das Gute an der Kritik: Die im Zweimonatsrhytmus stattfindende Show ist um Längen besser und unvorhersehbarer als ihre Homepage, da machte auch die Ausgabe vom vergangenen Freitag keine Ausnahme.
Die ständigen Mitglieder Matthias Reuter, René Steinberg, Benjamin Eisenberg und Marco ‚Jonas' Jahn, allesamt erfahrene Größen auf den Bühnen NRWs, wissen einfach wie man die Lach- und Denkmuskeln der Ruhrpottler beansprucht. Gast Ingo Borchers tat sein Übriges. Die letzten zwei Monate machten es den Gastgebern aber gar nicht so leicht. Schließlich glänzen die Sommermonate eher durch aufgeblasene Möchtegernthemen, als mit Substanz. Dieser Substanzlosigkeit begegneten Stein- und Eisenberg mit passender Ironie: Ein T-Shirt mit der Aufschrift "Scheiss RTL" möchte RTL kritisieren? Der Privatsender ist sauer und klagt. Der Erfinder des Shirts ist überzeugt von der Effektivität seiner Kreation. Der Saal fragt sich derweil, welche Partei eigentlich die dümmere von beiden ist. Bettina Wulff und das Rotlichtmilieu? Das war doch nicht etwa die Inspiration für den Fettes Brot-Song "Bettina (pack deine Brüste ein, Bettina zieh dir bitte etwas an)"? Die Sommerlöcher wurden von den Kabarettisten gestopft, wie sie es verdienten. Je alberner die Tatsache, dass ein Thema überhaupt ein Schlagzeilenträchtiges wurde, desto absurder der satirische Umgang mit ihnen. Matthias Reuter wurde an jenem Abend nur teilweise politisch. Bevor er sich als Amtsträger in einem fiktiven Vieraugengespräch mit einem Journalisten gegen jede noch so bewiesene "Anschuldigung" mit den Worten "Daran habe ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Erinnerung" wehrte, setzte es Seitenhiebe gegen die Bahn, Tv-Blondine Daniela Katzenberger und die fragwürdige Fortsetzung der Karriere von Thomas Gottschalk.
Text, Brief und Film von Poetry-Slammer Jonas Jahn waren weit weniger tagesaktuell, aber dafür meist umso eindringlicher und stets gespickt mit pop- und subkulturellen Anspielungen. Während sein Text über die sinnlose Verschwendung von Zeit nicht nur den Fernseher, sondern später sogar das Aussprechen von Vokalen als überflüssige Stundenfresser verfluchte, beleuchtete sein vorgeführter Kurzfilm eine alltägliche Situation, die jeder Mensch auf der Straße erlebt: "Haben Sie eine kleine Spende für dies und jenes? Warum nicht? Es ist doch für einen guten...“. Haben wir es hier mit Geiz zu tun oder sind "fünf Euro Spende für einen antifaschistischen Umtrunk" einfach nicht angemessen? Ein Film der Fragen hinterließ und gar nicht den Anspruch besaß, Antworten zu liefern. Ein klares Jain dagegen zum Thema Frauenquote. Eine natürlich-queere Gesellschaft wäre ihm lieber.
"Nachgewürzt"-Gast Ingo Borchers verzichtete fast gänzlich auf Witze über seine Heimatstadt Bielefeld und widmete sich stattdessen dem unaufhaltsamen Fortschritt des digitalten Zeitalters, dass auch vor Werbung, Politik und Zahnbürsten nicht Halt macht. Heutzutage heißen Friseursalone nicht mehr "Melanie's Herrensalon", sondern "Schnittstelle" oder, in Flughafennähe, "Hairport". Desweiteren sei der Zusammenhang zwischen Piratenpartei und der "Enter"-Taste der Laptop-Tastatur einfach zu offensichtlich und durchtechnisierte, kommunizierende Alltagsgeräte mutieren mit der Zeit entweder zum persönlichen Freund oder Feind. Das Sommerloch war groß dieses Jahr. Mit „Nachgewürzt“ ließ es sich aber gut ertragen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zehn Finger in der Wunde
"Nachgewürzt" ließ Sommerloch Revue passieren
Was wirklich in den Sternen steht
„Liv Strömquists Astrologie“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Prolog 02/25
Tanzende Seelen
„Dips“ am Opernhaus Dortmund – Tanz an der Ruhr 02/25
„Eine Frau, die förmlich im Leid implodiert“
Regisseurin Elisabeth Stöppler über „Lady Macbeth von Mzensk“ in Düsseldorf – Interview 02/25
„Die perfekte Festung ist das perfekte Gefängnis“
Ulrich Greb inszeniert Franz Kafkas „Der Bau“ am Schlosstheater Moers – Premiere 02/25
Nichts für Konfirmand:innen?
„Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ in Bochum – Prolog 02/25
Zwischen Realität und Irrsinn
„Kein Plan (Kafkas Handy)“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Prolog 01/25
Wenn Hören zur Qual wird
„The Listeners“ in Essen – Prolog 01/25
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 01/25
Wenn KI choreografiert
„Human in the loop“ am Düsseldorfer Tanzhaus NRW – Tanz an der Ruhr 01/25
„Ich war begeistert von ihren Klangwelten“
Regisseurin Anna-Sophie Mahler über Missy Mazzolis „The Listeners“ in Essen – Premiere 01/25
Wenn die Worte fehlen
„Null Zucker“ am Theater Dortmund – Prolog 01/25
Ein zeitloser Albtraum
Franz Kafkas „Der Prozess“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Prolog 12/24
„Vergangenheit in die Zukunft übertragen“
Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe über „Give up die alten Geister“ in Bochum – Premiere 12/24
Die Grenzen der Bewegung
„Danses Vagabondes“ von Louise Lecavalier in Düsseldorf – Tanz an der Ruhr 12/24
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
Freigelegte Urinstinkte
„Exposure“ auf PACT Zollverein in Essen – Prolog 11/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24