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Foto: Sven Siebenmorgen

Schraube locker?

02. November 2010

Ein Zulieferer produziert einst für Zechen und nun für Windräder - Thema 11/10

Wenn jemand vor etwa zwanzig Jahren behauptet hätte, dass im 21. Jahrhundert mobile Telefone mit Internetzugriff ebenso wenig ungewöhnlich sind wie Netbooks oder Mikrowellengeräte, hätte man ihm vermutlich unterstellt, er hätte eine Schraube locker. Für völlig selbstverständlich halten wir indessen die Existenz einer gemeinen Schraube. Sie ist jedoch vielseitiger und hält viel mehr zusammen, als uns gemeinhin bewusst ist. Ein Beispiel für die enorme Vielseitigkeit der Schraube sowie ihre wirtschaftliche Bedeutung ist die Firma Friedberg aus Gelsenkirchen. „Schrauben sind Verbundelemente für alles”, erläutert Geschäftsführerin Ingrid Brand-Friedberg. Sie leitet seit 1971 das Unternehmen und weiß: „Ohne Schrauben wäre ein Auto nur ein Haufen Blech.“

Für den Bau einer Windkraftanlage werden 3,6 t Schrauben benötigt

Angefangen hatte alles im Jahre 1884 im heutigen Gelsenkirchener Stadtteil Rotthausen. In seiner Hufschmiede für Grubenpferde fertigte August Friedberg mit Hammer und Amboss seine ersten Schrauben. Vermutlich hätte er nicht zu träumen gewagt, dass im Jahre 2010 weltweit rund 525 Mitarbeiter für die Firma Friedberg tätig sein würden. Neben drei Betriebsstätten in Deutschland unterhält das Unternehmen auch Standorte in Brasilien, Südkorea und den USA. Die Anfänge des Gelsenkirchener Familienunternehmens waren eng mit dem Bergbau und der im Ruhrgebiet ansässigen Groß- und Kleinindustrie verbunden. Doch von den einst 62 Zechen Gelsenkirchens existiert heute keine einzige mehr. Dem Niedergang der Kohle und dem damit verbundenen Wandel musste sich die Firma anpassen. Heutzutage werden die Schrauben mit dem Firmenzeichen „AF“ in der Automobilindustrie, im Anlagenbau und bei Stahlbetonkonstruktionen eingesetzt. In den Neunziger Jahren traf Geschäftsführerin Brand-Friedberg die wohl wichtigste und zugleich interessanteste Entscheidung in der Entwicklung des Unternehmens. „Aus dem hart umkämpften Massenmarkt der Standardschrauben haben wir uns bewusst zurückgezogen“, berichtet Brand-Friedberg. Stattdessen setzte sie gezielt auf einen Nischenmarkt: die Windkraft. Heute ist das durch den Bergbau groß gewordene Unternehmen der führende Hersteller für Verschraubungstechnik in der Windenergie und erzielt in diesem Bereich 60 Prozent seines Umsatzes. Allein für den Bau einer einzigen großen Windkraftanlage mit einem Rotordurchmesser von 114 Metern werden 448 Schrauben mit einem Gesamtgewicht von 3,6 Tonnen benötigt. Dabei müssen diese extreme Anforderungen erfüllen, da die immer höheren und leistungsfähigeren Windkraftanlagen an Land und auf dem Wasser enormen Kräften ausgesetzt sind. Die einfache Schraube hat sich zum Hightech-Produkt entwickelt, und das Ruhrgebiet profitiert vom schnellen Wachstum der Windenergiebranche. Zahlreiche Firmen aus NRW beliefern Hersteller von Windenergieanlagen in aller Welt. Wer also behauptet, dass im Pott ein neuer Wind weht, hat keineswegs eine Schraube locker.

Martin Thelemann

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