Die kleine Meerjungfrau sitzt wieder allein, nur von den üblichen Touristen umgeben, am Ufer der Ostsee in Kopenhagen. Die Delegierten der Klimakonferenz sind längst frustriert abgereist. Die Erderwärmung war den Herrschenden der Welt bei Lufttemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt kein so drängendes Thema, als dass sie auf die jeweiligen Privilegien ihrer Nationen verzichten wollten. „Was nun“, wird sich die kleine Meerjungfrau in ihrem bronzenen Hirn denken, „werde ich ohne meinen Fischschwanz machen, wenn das Wasser steigt?“ An diese Eventualität hatte Hans Christian Andersen 1837 noch nicht gedacht.
Den Großen Energiekonzernen pfeift der Wind ins Gesicht und strahlt die Sonne in die Augen
Kaum wieder daheim in Deutschland beteuern die Politiker, dass ihre arg ehrgeizigen Klimaziele trotz nicht zu erreichender internationaler Vereinbarungen peinlichst genau einzuhalten seien. Die Klimakanzlerin will CO2 sparen, wo immer es geht. Regenerative Energie und Energieeffizienz werden weiterhin und sogar noch mehr gefördert, heißt es von Seiten des Umweltministeriums. Im Ruhrgebiet, dem einstigen führenden Steinkohlerevier, ticken die Uhren allerdings anders. Dort werden in den nächsten Jahren etliche neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen. Die Liste der geplanten und im Bau befindlichen Blöcke ist lang: Krefeld, Duisburg, Düsseldorf, Herne, Marl, Lünen, Datteln und Hamm. Die Bauprogramme werden in der Öffentlichkeit damit begründet, dass marode und ineffiziente Kraftwerke abgeschaltet werden müssen. Aber ist der Bedarf für neue Stromfabriken wirklich so hoch, wie von den Energieversorgern prognostiziert? Der Strombedarf und auch der Strompreis sanken in den letzten Monaten in Folge der Wirtschaftskrise aber auch durch effizientere Nutzung stetig. Vor einigen Wochen wurde an der Leipziger Strombörse sogar der dafür bezahlt, der Strom abnimmt. Den großen Energiekonzernen pfeift der Wind ins Gesicht und strahlt die Sonne in die Augen. Ähnlich wie bei der in der Krise befindlichen Autoindustrie will man sich mit der Schaffung von Überkapazitäten im europäischen Konkurrenzkampf behaupten. Inzwischen aber, und das ist nicht nur bei Ökologen, sondern auch bei Ökonomen angekommen, müssen wir nicht noch mehr Großkraftwerke bauen. Zur Ergänzung von Wind- und Sonnenkraft braucht es kleine, schnell steuerbare Systeme und auch eine intelligente Terminierung des Verbrauchs. Kleine Wärmekraftwerke, die vielleicht ein Dutzend Wohnungen beheizen, können dann angefahren werden, wenn Strom gebraucht wird. Und Verbraucher könnten mit günstigen Tarifen belohnt werden, wenn sie dann ihre Waschmaschine anstellen, wenn genügend Strom verfügbar ist. Eine Steuerung via Internet ist schon heute problemlos umsetzbar.
Große Kohlekraftwerke werden in der Bevölkerung immer weniger akzeptiert. Einige Energieversorger haben inzwischen ihre Baupläne zu Makulatur erklärt. In Berlin, Kiel, Bremen, Köln und am Greifswalder Bodden wird nicht gebaut. Im Ruhrgebiet steht bislang nur Datteln auf der Kippe. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte den Bebauungsplan für nichtig erklärt. Die Landesregierung hatte daraufhin Ende letzten Jahres eilig ein Gesetz geändert, um den Bau des 1.050-Megawatt-Blockes doch noch zu ermöglichen. Der Ausgang des Verfahrens ist ungewiss. Warum aber, so stellt sich die Frage, werden überhaupt im Ruhrgebiet so viele Kohlekraftwerke gebaut? Die Kohle kommt mittlerweile nicht mehr aus dem Schacht, sondern aus Übersee. Die Emissionen großer Kraftwerke können zudem hier viel mehr Menschen schaden als anderswo. Es muss mit dem Mythos Kohle zusammenhängen. Die Ruhries, so mögen sich die Planer gedacht haben, erfreuen sich mehr als Bewohner anderer Regionen der Republik an qualmenden Schloten und Kühltürmen. Feinstaub mag hier nostalgische Gefühle wecken. Doch dieses Kalkül geht nicht auf. Flächendeckend klagen auch im Kohlenpott Bürgerinitiativen gegen die neuen Kraftwerke.
Schneller als die Projektierungsabteilungen der Energiekonzerne können deren Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit reagieren. Radikale Umweltschützer mögen das Engagement der RWE bezüglich RUHR.2010 als bloße Imagepolitur begreifen. Der Stromriese ist einer der Hauptsponsoren der Kulturhauptstadt. Es stimmt aber trotzdem hoffnungsfroh, dass sich RWE dabei dem Thema Klimawandel angenommen hat. Im Mai werden vier künstliche Inseln auf dem Baldeneysee schwimmen und sich auf künstlerische Weise dem Thema annähern. Eine der Inseln wird eine Eisbergimitation sein. Im April eröffnet im Haus Ruhrnatur in Mülheim die Ausstellung „Klima und erneuerbare Energien“. Kinder im Alter von sechs bis 99 Jahren können Experimente mit Sonnen-, Wind- und Wasserkraft machen. Welche Turbine ist am besten zur Stromerzeugung geeignet, welche Neigung ist für ein Sonnendach ideal? Wenn der gesamte Konzern RWE Antworten auf die Fragen findet, die während der von ihm gesponserten Veranstaltungen gestellt werden, wäre das Ruhrgebiet in puncto Klimaschutz ein gutes Stück weiter. Eine damals kleine ökologische Partei plakatierte vor 30 Jahren mit dem Slogan: „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt!“ Das Plakat hat all die Jahre nicht an Aktualität verloren.
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