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Weniger Trend als Reaktion auf soziale Missstände: Urban Gardening als Existenzgrundlage
Foto: Amélie Kai

Wie das Land, so das Gärtnern

30. Juli 2013

Beispiele aus Kuba, Italien, Irland und Spanien - mit Urban Gardening gegen Missstände – Thema 08/13 Urban Gardening

Die Motive für Urban Gardening sind zwar vielfältig, doch immer ist ein spezifischer Missstand Ausgangspunkt der Stadtbegrünung auf eigene Faust. Urban Gardening-Projekte im Ausland können daher Aufschluss über die politischen und wirtschaftlichen Probleme des jeweiligen Landes geben. In Kuba etwa hat man mit Urban Gardening die Situation der Landes nach Zusammenbruch der Sowjetunion enorm verbessert. Da man damals den Öl- und Maschinenbedarf nicht mehr decken und somit keine großen Flächen mehr bewirtschaften konnte, setzte man fortan auf kleine Anbauflächen in den Städten und in deren Nähe. Dadurch konnte der Mangel kompensiert werden: In den „Nuller-Jahren“ wurden 90 Prozent des Bedarfs an frischen Lebensmitteln in Havanna durch diese Form des Urban Gardening gedeckt.

Auch im europäischen Raum reagiert man mit dem Urban Gardening auf politisch-wirtschaftliche Missstände. Am Beispiel Rom wird dieser Zusammenhang gut deutlich: Das Szene-Portal „Zappata Romana“ verzeichnet für 2013 5 Prozent mehr kollektive Gärten im Stadtgebiet als im Vorjahr – 150 insgesamt. Motivation für das kollektive Gärtnern ist es, das fehlende Handeln der öffentlichen Verwaltung zu kompensieren und das eigene Wohlbefinden damit selbst in die Hand zu nehmen. Das Engagement der politisch enttäuschten Römer beschränkt sich dabei nicht auf das Gärtnern – auch Sport- und Hundeplätze werden angelegt und schon bestehende Grünflächen gepflegt.

Umweltfreundliche Lieferung per Cargo-Bike
In Dublin hingegen will man gleich globale Missstände bekämpfen. Auf der „Dublin Urban Farm“, einem Projekt auf dem Dach einer ehemaligen Schokoladenfabrik mitten in der Stadt, gibt es Workshops zum effektiveren und umweltverantwortlichen Anbau von Lebensmitteln, zum Energiesparen, zu ökologischen Zyklen und zur Selbstversorgung von Kommunen. Der begrünte Raum auf dem Dach ist aber nicht nur Lehrstätte: Man will auch einen Ort der Entspannung und der Begegnung bieten, wo die Mitwirkenden Lebensmittel für den Eigenbedarf ebenso anbauen können wie für Abnehmer im Zentrum. Geliefert wird die Ware umweltfreundlich per Cargo-Bike.

In Barcelona löst das Urban Gardening ein ganz anderes Problem. In der „Ciudad Jubilada“ ­– der „Rentnerstadt“ – finden Ruheständler in einer Kleingartensiedlung am Stadtrand zwischen Schnellstraßen, Flüssen und Bahntrassen eine neue Aufgabe und Gesellschaft. Obwohl die von den Gärtnern selbst angelegte Anlage inoffiziell ist, wird sie seit Jahrzehenten geduldet. Wenn kein Bedarf mehr an einer Parzelle besteht, wird sie weiterverkauft, auch wenn sie dem Nutzer eigentlich nie gehört hat. Für die gärtnernden Rentner ist die Siedlung Zuhause, Fitnessstudio und Treffpunkt in einem. Das anarchistische Konzept findet seit 1997 offizielle Nachahmung: Die Stiftung der katalanischen Sparkasse „la Caixa“ betreibt seitdem ein Programm für Über-65Jährige, denen Brachflächen zwischen 25 und 40 Quadratmeter zur Bebauung zur Verfügung gestellt werden. Mindestens einen Reiz der Rentnerstadt hat das aber nicht: die fehlende Bürokratie.

MORITZ POHL

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