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Foto: Francis Lauenau

„Wir wollten die Auswirkungen des Zölibats erforschen“

28. Februar 2013

Christian Pfeiffer über das schwierige Verhältnis zwischen Kriminologen und Klerikalen – Thema 03/13 Schutzbefohlen

trailer: Herr Pfeiffer, die Katholische Kirche möchte mit Ihnen nicht mehr zusammenarbeiten. Warum?
Christian Pfeiffer:
Nach drei Monaten der konstruktiven Zusammenarbeit zogen sich zwei Mitglieder des Beirates unseres Forschungsprojektes zurück. Der Generalvikar von München pochte darauf, dass jener Beirat kein beratendes, sondern ein entscheidendes Gremium sein soll. Er und kurze Zeit später auch der Generalvikar aus Regensburg verließen den Beirat. So war er nicht mehr handlungsfähig. Dadurch kam die weitere Arbeit in dem Forschungsprojekt zum Erliegen. Dem Bischof von Trier, Stephan Ackermann, ist es nicht mehr gelungen, die Arbeitsfähigkeit dieses Gremiums zu gewährleisten. Im Mai letzten Jahres erhielten wir einen neuen Vertragsentwurf. Nun beanspruchte die Kirche, dass alle Texte, die wir im Beirat diskutieren, nur veröffentlicht werden dürfen, wenn Einvernehmen darüber besteht. Ansonsten müssten sie intern bleiben. Auch sollten alle Doktorarbeiten zum Thema eingereicht werden und hätten nur veröffentlicht werden dürfen, wenn dies von den kirchlichen Vertretern schriftlich genehmigt wird. Das war mit der Freiheit der Forschung nicht vereinbar. Anfang Juli kam ein weiterer Vertragsentwurf, der die Zensurwünsche nur unwesentlich abschwächte. Außerdem wurde ein Mitspracherecht bei der Anstellung neuer Mitarbeiter gefordert. Zwei Mitarbeiterinnen hatten, frustriert über den Verlauf des Projektes, mittlerweile gekündigt.

Prof. Dr. Christian Pfeiffer
Foto: KFN
Prof. Dr. Christian Pfeiffer (69) ist Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.

Was haben Sie als Kriminologe denn ausgefressen, dass man Sie so schlecht behandelt?
Ich habe bei einem Vortrag vor allen Generalvikaren angesprochen, welche Hypothesen wir im Rahmen unserer Forschungsarbeit prüfen wollen. Dazu gehört auch die Überprüfung einer US-amerikanischen Erkenntnis. Dort war der Missbrauch vom Jahr 1970 bis zum Jahr 2000 auf ein Zehntel zurückgegangen. Dieser Rückgang erklärte sich durch viele Faktoren. Aber einer war besonders spannend: In den 1970er Jahren waren 95 Prozent der Täter keine Pädophilen, sondern Männer, die eigentlich lieber ihre Sexualität mit Erwachsenen leben wollten, aber keinen Kontakt zu ihren Wunschpartnern herstellen konnten. Dann aber lockerte sich die Sexualmoral. Inzwischen ist es für Priester, die sich nicht an das Zölibat halten wollen, viel leichter, auf eine Party zu gehen, um zu gucken, ob sie eine Partnerin oder einen Partner finden. Die These, dass die „sexuelle Revolution“ ein Hauptgrund dafür ist, dass der sexuelle Missbrauch durch Priester zurückgeht, wirkte auf die Zuhörer bedrohlich. Auch stellten wir in Aussicht, über die Auswirkungen des Zölibats forschen zu wollen.

Befindet sich der Klerus noch im Mittelalter?
Nein, es gibt durchaus Fortschritte. Die Katholische Kirche gewichtet in der Priesterausbildung Themen wie Sexualität oder Missbrauch stärker als früher. Sie hat das Tabu, das mit solchen Themen verbunden war, aufgeweicht. Außerdem gibt es inzwischen hilfreiche Regelungen, wie etwa die Regel, Kinder nicht allein in die priesterliche Wohnung mitnehmen zu dürfen.

Wird es nun keine Forschung mehr über kirchlichen Missbrauch geben?
Es gibt viele qualifizierte Kriminologen in Deutschland. Ich würde mir wünschen, dass die Kirche nicht der alleinige Auftraggeber und Geldgeber ist. Das Bundesforschungsministerium könnte sich beteiligen. Dies würde eher eine Freiheit der Forschung gewährleisten. Allerdings werden unsere Nachfolger auf weitere Schwierigkeiten stoßen. Die Akten sind teilweise in einem miserablen Zustand. Zur Geschichte des Missbrauchs gibt es nur noch lückenhafte Auskünfte, weil es eine kirchliche Vorschrift gibt, dass Akten über interne Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs nach zehn Jahren vernichtet werden sollen. Diese Vorschrift gilt noch immer.

Gibt es für Sie überhaupt noch etwas zu tun?
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen wird sich natürlich weiter mit diesem Thema beschäftigen. Gestützt auf Eigenmittel führen wir einerseits qualifizierte Tiefeninterviews mit Opfern, andererseits bitten wir die kirchlichen Missbrauchsopfer bundesweit darum, anonym einen von uns entwickelten Fragebogen auszufüllen.

Wie unterscheidet sich kirchlicher Missbrauch von anderem Missbrauch?
Gerade das wollen wir im Zuge unserer Opferforschung aufklären. Wir verfügen durch eine bundesweite Repräsentativbefragung über die Antworten von 450 Opfern, die außerhalb der Kirche sexuell missbraucht wurden. Wenn wir denen nun die Antworten der innerkirchlichen Opfer gegenüberstellen können, wäre das weltweit die erste Untersuchung dazu, was die beiden Gruppen, die unter sexualisierter Gewalt zu leiden hatten, unterscheidet.

INTERVIEW: LUTZ DEBUS

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