Wer hätte geahnt, dass das inzwischen international renommierte Krimi-Festival „Mord am Hellweg“ einmal den Weg in den Landtag NRW finden würde? So geschehen am 2. September, als die Veranstaltungsreihe unter dem Motto „Tatort Landtag“ in Düsseldorf zu Gast war. Ein zweites Highlight im Vorfeld der Eröffnung von „Mord am Hellweg“ durften rund 180 Gäste vier Tage später auf der Zeche Hugo in Gelsenkirchen-Buer erleben: Dr. Herbert Knorr, seit 2002 einer der Festival-Leiter der Krimi-Biennale, präsentierte am 6.9. auf „Schacht 2“ zusammen mit dem Kabarettisten Fritz Eckenga seinen Ruhr-Krimi „Shit häppens“. Die frisch bei Henselowsky und Boschmann erschienene kriminalistische „Ruhrgebietsgroteske“ handelt nicht nur „von Serienmördern und Stehpinklern“, sondern beleuchtet mit ihren in die Rahmenhandlung eingeflochtenen Geschichten um „Mord und Totschlach aussen Pott“ vor allem die dunklen Abgründe hinter den pittoresken Zechenhaus-Fassaden an den Ufern der Emscher. Dabei räumt der auf Schalke geborene Literaturwissenschaftler und Autor, der heute im (vermeintlichen) „Problemviertel“ Ueckendorf zuhause ist, gründlich mit den immer noch das Bild vom Pott beherrschenden provinziellen Ruhrpott-Klischees auf.
„Glück auf, der Steiger kommt“, hallt es aus den Lautsprecherboxen durch die trotz bestem Spätsommerwetter vollbesetzten Reihen auf Schacht 2. Spätestens nach der fünften Strophe beginnt die Ruhr-Hymne das Gehör zu strapazieren und auch die letzten Mitsummerinnen verstummen. Doch am Schluss sind wieder alle dabei, wenn der Schnapskonsum der „kreuzbraven Bergleute“ in den Fokus der Hymne gerät – womit zugleich ein zentrales Leitmotiv der Lesung markiert wäre, bei der so mancher Obstbrand auf der Bühne gekippt und zuweilen sogar mit dem Schnaps gegurgelt wird, um die Stimme zu ölen. Somit wird das künstlerische Prinzip der Groteske – die Übertreibung und Überzeichnung der (Krimi-)Charaktere – sehr authentisch auf die Lesebühne verlängert. Handlungsleitendes Motiv im Buch hingegen ist weniger der Alkoholkonsum, sondern vielmehr das notorische Stehpinklertum des Protagonisten Jupp, den es aus Sicht seiner Ehefrau Martha daher nach 65 an der Seite des Badfliesen-Verschmutzers und stoischen Steigerlied-Sängers erduldeten Ehejahren zu beseitigen gilt: „Das Steigerlied war nämlich sein Ein und Alles; das sang der selbst auf dem Klo, alle sechs Strophen, wenn der beim Stehpinkeln die WAZ las, freihändig, mit seine Hände links und rechts an den aufgeblätterten Seiten. Und wenn der Jupp mal nicht das Steigerlied gesungen hat, dann war der immer im Vorgarten seine Seilscheibe am Scheuern oder oben bei seine Täubkes oder inne Kneipe.“ „Der Jupp muss weg“, ist sich Martha daher sicher und schmiedet einen geradezu mafiösen Plan, um ihren Mann loszuwerden.
Als Inspirationsquellen für diese Rahmenhandlung dienen die zahlreichen Mord-Geschichten im Buch, von denen Fritz Eckenga – stimmlich und rhetorisch brillant – einige zum besten gibt. Auch an mythologischen Referenzen mangelt es hierbei nicht – so sieht sich in einer der Geschichten etwa ein Werner aus Castrop vor seinem geistigen Auge an einen Felsen geschmiedet wie einst Prometheus; nur dass das landschaftliche Setting etwas von der altgriechischen Vorlage abweicht, da sich das Ganze im Zillertal abspielt, dem von Werner verschmähten Lieblingsreiseziel seiner biederen Ehefrau Hilde. Diese wiederum will partout nicht mit ihm auf Kreuzfahrt gehen – zumindest vorgeblich aus Angst vor „arabischen Terroristen“ – und noch nicht mal mit dem Gatten an die Nordsee reisen. Um Letzteres präventiv zu vereiteln, schubst sie ihn kurzerhand bei einer Bergwanderung in eine 300 Meter tiefe Schlucht. Zumindest seine Asche wird jedoch schließlich ins Meer gestreut, damit Werner wenigstens einmal in der Nordsee schwimmen kann… Ob auch Marthas Mordplan aufgeht und Taubenvater Jupp im Pakt mit der Mafia über die Emscher geschickt wird, soll an dieser Stelle nicht verraten werden.
Auch der als „Meister des lakonischen Humors“ (WDR 5, Bücher) gefeierte Fritz Eckenga hielt noch eine literarische Überraschung bereit: „Draußen rauchen ist Mord am ungeborenen Baum“ heißt der Titel seines frisch erschienen neusten Werks. „Der Autor reist von den Ötztaler Alpen, in denen ledrige Ureinwohner abgebaut und als Wurzen an deutsche Touristen verfüttert werden, bis in den westfälischen Hintergarten, wo ein demütiger Rasenhalm sein Herrchen um Kürzung anwinselt“, heißt es in der vielversprechenden Buchbeschreibung (Edition Tiamat 2016). Mit einem „historischen Abriss“ übers „Mörden im Nörden“ – 99 % aller Krimi-Autoren seien schließlich Skandinavier, einschließlich Hörbört Knörr – strapaziert Eckenga nochmals das Zwerchfell des Publikums.
Europas größtes internationales Krimi-Festival „Mord am Hellweg“ wird am 17. September offiziell eröffnet: Bis zum 12. November werden dann über 400 mitwirkende AutorInnen, ModeratorInnen, MusikerInnen, SchauspielerInnen und weitere KünstlerInnen bei mehr als 200 Veranstaltungen an rund 90 Tatorten in 25 Städten „für Spannung und beste Unterhaltung sorgen“, sind sich die Veranstalter sicher. Doch zuvor wird es noch ein weiteres Krimi-Highlight geben, wenn am 15.09. ab 20 Uhr die für ihre „lebensnahen Medizinthriller“ wie etwa „Kalte Herzen“ bekannte us-amerikanische „Crime Lady“ Tess Gerritsen im Heinz-Hilpert-Theater Lünen lesen wird. Ihr neustes Werk ist der Musikthriller „Totenlied“, aus dem Gerritsen passenderweise selbst den leitmotivischen Walzer am Piano intonieren wird.
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