Dortmund, 18. März – Es ist dem Straßenmagazin bodo und dem „freundeskreis nEUbürger und roma“ hoch anzurechnen, dass sie in einer allgemeinen Stimmung von Anti-Ziganismus immer wieder mit Veranstaltungen in Dortmund differenziert auf die Situation von Sinti und Roma aufmerksam machen. Im Kino sweetSixteen wurde in einer gut besuchten Veranstaltung „Gibsy-Die Geschichte des Boxers Johann Rukeli Trollmann“ gezeigt. Roger Repplinger las aus seinem Buch „Leg dich, Zigeuner“, das dem Film als Vorlage diente, und anschließend diskutierte er mit Oswald Marschall, dem Vorsitzenden Deutscher Sinti e.V. Minden über die erschreckende Kontinuität der Ausgrenzung, die Sinti und Roma seit Jahrhunderten erleiden.
Der Dokumentarfilm erzählt die Lebensgeschichte des Sinto Johann Wilhelm Trollmann, der 1933 mit einem neuartigen, wendigen Kampfstil Deutscher Meister im Halbschwergewicht wurde und zu den größten Talenten der Weimarer Republik zählte. Da die Nazis keinen „Zigeuner“ als deutschen Meister duldeten, wurde ihm unter Federführung der NSDAP kurz darauf der Titel aberkannt. Was folgt sind Rassegutachten als pseudo-wissenschaftliche Grundlagen für Inhaftierung und Mord. Obwohl Trollmann als Soldat in den Krieg der Nazis zog, wurde er 1942 verhaftet und kam dann ins KZ Neugamme, wo er starb. 500.000 Sinti und Roma wurden im 2. Weltkrieg ermordet.
Moderator Bastian Pütter brachte das Gespräch schnell auf die 1950er Jahre in der jungen BRD, als die Kämpfe von verschiedenen Opfergruppen um Entschädigung erfolglos blieben. Erst unter Helmut Schmidt sei der Genozid an den Sinti anerkannt worden. Roger Repplinger, Sportjournalist und Soziologe bringt auf die Frage, was mit der Opfergruppe der Sinti nicht funktioniert habe, auch andere Opfegruppen in die Diskussion ein: Schwerverbrecher, Homosexuelle, Zeugen Jehovas… Letztendlich seien es die Juden gewesen, die als zentrale Opfergruppe anerkannt worden waren. „Eine weitere Gruppe wollte Adenauer den Deutschen nicht zumuten.“, spitzt Repplinger seine These zu. Oswald Marschall, der in den 1970er Jahren selbst für die National-Mannschaft geboxt hatte, erzählt von Übervorteilungen in seiner eigenen Karriere, die er bereits im jungen Alter von 22 Jahren aufgab, „ohne, dass mich jemand zurückholen wollte.“ Und er fügt auch noch eine persönliche Geschichte über seinen Schwiegervater hinzu, der in der 4. Klasse von der Gestapo nach einem Hinweis seines Lehrer verhaftet wurde und nach Ausschwitz kam, wo dessen Vater in seinen Armen starb. Nach dem Krieg musste er bei der Einschulung seiner eigenen Kinder miterleben, dass dieser Lehrer mittlerweile Rektor geworden war. Viele Sinti, traumatisiert von den Ereignissen des Krieges, könnten auch heute nicht über die Zeit des Nationalsozialismus sprechen.
Heute ist Marschall selbst Box-Trainer in Minden, und er erzählt stolz von der erfolgreichen Bildungsarbeit für die jugendlichen Boxer in seinem Verein, die von pensionierten Lehrern Nachhilfe-Unterricht bekommen und heute zum Teil studieren. Doch das Vertrauen der Mehrheitsbevölkerung aufzubauen, sei schwer. Die Diskriminierung von Sinti und Roma scheint sich völlig unsanktioniert fortzuschreiben: Pütter zitiert eine Umfrage, nach der über 80% der Sinti Diskriminierungserfahrungen gemacht und Angst vor Behörden hätten. „Sie sprechen mich immer mit IHR an. Einer muss immer für alle stehen.“, formuliert es ein Zuschauer aus dem Publikum. Es wurden noch zahlreiche weitere Beispiele für gegenwärtigen Anti-Ziganismus vom Publikum und auf dem Podium gebracht. Und allen war nach der engagierten Debatte klar, dass hier viel mehr Redebedarf besteht und der Mangel an politischen Konzepten absolut virulent ist.
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