Die Filmbilanz des ersten Halbjahres bietet einige positive Arthouse-Überraschungen und „Content-Hits“. Das Kafka-Biopic „Die Herrlichkeit des Lebens“ ist auf dem Weg zu 250.000 Zuschauern, Jonathan Glazers „The Zone of Interest“ mit 840.000 verkauften Tickets und Yórgos Lánthimos „Poor Things“ mit knapp 600.000 haben die Erwartungen voll erfüllt, wenn nicht sogar übertroffen. Dazu kämpft sich Matthias Glasners Lola-Gewinner „Sterben“ an die 200.000-Zuschauer-Grenze, während Melanie Auffrets leise Komödie „Es sind die kleinen Dinge“ auf den 100.000. Besucher wartet.
Auch die Filmfestivals sorgten in diesem Frühjahr für einige positive Überraschungen – weil sie mehr denn je als Vermittler zwischen Branche und Publikum agieren. In Cannes gewann Sean Bakers Liebesgeschichte „Anora“ über ein Callgirl und einen russischen Millionärssohn, die sich während eines bezahlten Wochenendes näherkommen und einfach heiraten. Bakers bisweilen harte, komische und blendend gespielte Romanze wischt mit einem unvergesslichen Ende alle Klischees ihres „Pretty Woman“-Rahmens beiseite – und erhielt dafür die Goldene Palme als Bester Film des Wettbewerbs. Jacques Audiards gefeierte Musical-Komödie „Emilia Perez“ staubte den Großen Preis der Jury ab – und erhielt dann auch den Darstellerinnenpreis, der gleichberechtigt an den vierköpfigen weiblichen Cast Karla Sofía Gascón, Zoe Saldana, Selena Gomez und Adriana Paz ging. Jesse Plemons heimste für seine drei unterschiedlichen Rollen in Yórgos Lánthimos faszinierendem Episodenfilm „Kinds of Kindness“, unserem Film des Monats, den Darstellerpreis ein. Das in New Orleans spielende Werk bietet einige der schönsten und kuriosesten Geschichten dieses Jahres – und ist gleichzeitig „typisch Lánthimos“.
Auch der Eröffnungsfilm und Hauptgewinner des diesjährigen Internationalen Frauen Film Fests in Köln und Dortmund, Asli Özarslans Debütspielfilm „Ellbogen“ nach der gleichnamigen Vorlage von Fatma Aydemir, machte im April mit ausverkauften (Zusatz-)Vorstellungen von sich reden. Wie die junge Migrantin Hazal (Melia Kara) vor und an ihrem 18. Geburtstag um eine Stelle und ihren Platz im Leben kämpft und dann eines Nachts in eine brutale Konfrontation schlittert, muss man gesehen haben. Der Film kommt nun im September in die regulären Kinos.
„Last but not least“ konnte Ende Mai noch ein Umzug vermeldet werden: Walid Nakschbandi zieht mit seiner Film- und Medienstiftung NRW 2025 vom sehr ruhigen Düsseldorfer Hafen an den trubeligen Kölner Hauptbahnhof. Inwiefern sich dies auf die zu Sparmaßnahmen gezwungene Förderpolitik auswirken wird, bleibt abzuwarten. Nicht nur das Leben, sondern auch die Gesellschafter und die zahlreichen Off-Kinos und -Festivals als Impulsgeber sind ab nächstem Januar jedenfalls direkt vor der Tür.
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