Jedes Bild des Schweizer Malers Franz Gertsch ist ein Blick in eine eigene komplexe Welt, bei der das vermeintlich Bekannte etwas Besonderes wird. Und dann korrespondieren diese monumentalen Naturschilderungen im Verbund von drei bzw. vier Bildern noch miteinander, und weil er an jedem Gemälde bis zu einem Jahr malt, sind seine Ausstellungen im Museum Folkwang in Essen und im Museum Kurhaus in Kleve zusammen ein seltenes Ereignis. – Hat es seiner Kunst und ihrer Anerkennung geschadet, dass er derart intensiv arbeitet, dass man auf jedes Bild lange warten und dann seinerseits richtig Zeit investieren muss im Nähertreten und Abstandnehmen, im Vorbeilaufen und Innehalten? Dass er zudem zeitweilig monochrome Holzschnitte geschaffen hat, die sich auf die Naturschilderung und das Einzelporträt beschränken? Bekannt wurde Franz Gertsch, der 1930 im Kanton Bern geboren wurde und noch heute in dieser Gegend lebt, in den 70er Jahren mit einer „humanen“ Variante des damals angesagten Fotorealismus. Seine Gemälde zeigten vor allem seine Familie und Persönlichkeiten aus der Schweizer Kulturszene, oft wie mit einem Schnappschuss erfasst. Berühmtheit erlangte er mit seinem Beitrag zur documenta 1972: dem Gemälde „Medici“, das eine Personengruppe hinter einer Absperrung am Kunstmuseum Luzern zeigt. Heute gehört „Medici“ zur Sammlung des Ludwig Forum in Aachen. Dort fand vor einigen Jahren eine Gertsch-Retrospektive statt, und der damalige Aachener Museumschef Harald Kunde ist mittlerweile Direktor am Museum Kurhaus Kleve, wo Gertsch wiederum schon früher ausgestellt hat. Deshalb macht hier nun die konzentrierte Präsentation der aktuellen Werkgruppe „Die Jahreszeiten“ Sinn. Gertsch hat mit dieser Folge vier monumentaler Gemälde die Natur quasi vor seiner Haustür festgehalten: Er zeigt immer die gleiche Ansicht, aber zu den verschiedenen Jahreszeiten. Dabei ergeben sich unterschiedlich tiefe Einblicke in den Wald, zugleich ändern sich Farbton und Lichtverhältnisse, die Landschaft ist plötzlich eine andere. Wie ein Wanderer tasten wir uns mit den Augen durch das Geäst und erleben von Bild zu Bild unterschiedliche Stimmungen.
Das Existenzielle, das diese grandiosen Malereien schon in der Schilderung der Jahreszeiten in sich tragen, findet sich auch bei dem Triptychon „Guadeloupe“ im Museum Folkwang in Essen. Als Leihgaben integriert in den Sammlungsflügel, ist hier jedes Bild auf einer eigenen Wand präsentiert. In der Mitte ist ein Frauenakt auf sandigem Boden zwischen Steinen zu sehen. Links und rechts davon befinden sich Naturstücke mit üppiger Vegetation. Grundlage sind Fotografien, die Gertsch 1985 auf der Antilleninsel aufgenommen hat – zweieinhalb Jahrzehnte später hat er dann die drei Bilder geschaffen. Er hat auch hier, wie schon immer, auf ungrundierter Baumwolle gemalt und damit eine Mattheit erreicht, die den Realismus steigert, der sich aber von ganz nahe in reine Malerei in unzähligen farblichen Abstufungen auflöst. Wir sehen minutiöse Gleichnisse über das Leben und seine Schönheit und das bedächtige, würdevolle Vergehen der Natur.
Franz Gertsch | „Die Jahreszeiten“ | bis 14.9. | Museum Kurhaus Kleve | 02821 750 10 | „Guadeloupe“ | Museum Folkwang Essen | 02228 942 50
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