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Fragen der Zeit      Zukunft JETZT

POLITIK-LABOR – Ein Thema, drei Schwerpunkte: Aufmacher, Interviews, Europa-Artikel, Glosse und Lokaltexte aus Köln, Wuppertal und dem Ruhrgebiet

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Composing: Robert Michalak
 

Erinnerte Zukunft / Sehnsucht nach Gestern und Morgen
Intro (Link zur Langfassung)

Früher war alles besser, sogar die Zukunft! – lautet eine dem Satiriker Karl Valentin (1882-1948) zugeschriebene Pointe. Der (verklärende) Blick auf die Vergangenheit gehört zum Menschen und zur Gesellschaft. Vergangenem nachzusinnen, gilt oft als Zeichen von Wehmut. Dagegen betonen Forscher, dass hierin eine psychologische Ressource liegt, sich über die eigene Identität und Gegenwart klar zu werden. Viele beschwören Zeiten, in denen die Geschlechter übersichtlicher waren, Minderheiten leiser, „Made in Germany“ bewundert wurde, das Essen gesünder war und man selbst vor allem jünger. Ist es wirklich ein Grundübel, Veränderung zu fürchten oder in Gedanken fortwährend die nächste Epoche vorzubereiten? Ist es nicht vielmehr selbstverständlich, aus Vergangenem zu lernen, um in der Gegenwart das Möglichste zu tun, auch für die Zukunft? Wo ist eigentlich das Problem –nur in der Rhetorik, die jene Gegensätze nutzt, um politische Interessen zu vertreten und Konsum zu fördern?

Erinnerte Zukunft / Sehnsucht nach Gestern und Morgen
Teil 1: Politik

In der gegenwärtigen Polykrise (Klima, Krieg, Migration,…) schwillt der Konflikt zwischen denen, die auf Lösungen „von gestern“ beharren, denen, die moderaten Wandel fordern oder denen, die die Katastrophe(n) für unausweichlich halten, wenn nicht umgehend radikal durchgegriffen wird. Ein Scheidepunkt zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist fester Bestandteil der politischen Rhetorik, versprochen werden Beständigkeit, Rückkehr oder Fortschritt. Hinter den gegensätzlichen Positionierungen der Parteien wirkt ein von Kompromissen geprägtes Tagesgeschäft, in dem die harten Forderungen gleichsam abgeschliffen werden – was keineswegs bedeuten muss, dass ein fairer Interessenausgleich das Ergebnis ist. Was unterscheidet die „Ewiggestrigen“, die „Vermittler“ und die „Zukunftsträumer“? Lenkt die Gegenüberstellung von Gestern und Morgen vom Wesentlichen ab? Wird politischer Streit überhaupt je anders ausgetragen?

Erinnerte Zukunft / Sehnsucht nach Gestern und Morgen
Teil 2: Konsum

Retrotrends beleben teils originale Technik wieder, teils erschöpfen sie sich im Oberflächlichen. Solche Trends sind vielfach harmlos und privat. Dass das Leben früher einfacher war – also besser –, ist allerdings auch eine Werbebotschaft, die schöne Erinnerungen weckt oder suggeriert, um Markenimage oder Kaufbereitschaft zu fördern. So wird ein Ideal vermittelt, das sich an einem Früher orientiert, das sich durch Einfachheit/Zufriedenheit ausgezeichnet habe. Wer sich aber mit Tinyhouse oder Lightweight-Allzweck-Fahrrad in Oldtimer-Optik eigene Bescheidenheits- und Konsumverzichtswünsche erfüllen will, muss sie sich vor allem leisten können. An Repairshops oder Gebraucht-Läden mangelt es indes. Zugleich klagen Kleidersammelstellen über einen Zuwuchs minderwertiger Ware, die bei ihnen eher entsorgt denn gespendet werde. Der Wunsch ‚wiederzubeleben‘, war vielleicht nie sinnvoller als heute. Wie wird daraus mehr als Modetrend oder Privileg?

Erinnerte Zukunft / Sehnsucht nach Gestern und Morgen
Teil 3: Mensch

Erinnerung ist nicht einfach sachlich, sondern eher eine Erzählung, die ausspart, übersieht, hinzufügt, übertreibt, oder streng wertet – Erinnerung ist auch eine Erfindung. In der sog. Rush-Hour des Lebens (Arbeitsleben, Partnerschaft, Kinder…) mögen Kindheit/Jugend als Zeit der Unbeschwertheit nachklingen. Wie der persönlich und gesellschaftliche Wandel aufeinander bezogen und bewertet werden, ist abhängig nicht zuletzt vom politischen Rahmen und davon, wie Politik und Gesellschaft mit Krisen umgehen. Die Überzeugung, früher sei alles besser gewesen, ist nicht gebunden an eigene Erinnerungen oder die eigene Lebenszeit. Auch unter Jugendlichen gibt es die Überzeugung, es brauche wieder klare Hierarchien, wie es sie früher gegeben habe. Mit dem Alter blickt man nicht zuletzt auf Erfahrungen des Scheiterns zurück, auf Enttäuschungen, Verluste. Was braucht es, um mit der eigenen Vergangenheit klarzukommen, sie wertzuschätzen und als Teil der eigenen Identität anzuerkennen und zu nutzen?

Erinnerte Zukunft / Sehnsucht nach Gestern und Morgen
Teil 4: Todmorden und die Idee der „essbaren Stadt“ – Europa-Vorbild: England

Früher war wohl so ziemlich jede Gemeinde ein „essbarer“ Ort. Lokale Produzenten boten auf dem Marktplatz regional produzierte Lebensmittel der Saison an. In der Kleinstadt Todmorden, gelegen im Nordwesten Englands, wurden im Jahr 2008 jene alten Impulse in die Gegenwart übertragen. Eine Gruppe um die Aktivistin Pam Warhurst begründete das Projekt „Incredible Edible“ (Unglaublich essbar), das mittlerwile Initiativen und Kommunen in aller Welt inspiriert. Die Idee: Im Stadtbild können an beliebiger Stelle und frei zugänglich Lebensmittel angepflanzt werden. Die Idee der „essbaren Städte“ berührt zahlreiche Herausforderungen, darunter nachhaltigen Ressourcenverbrauch, Schutz der Biodiversität, Flächenentsiegelung oder Gesundheitsschutz. Jeder kann teilnehmen, sich selbst als Teil der Lösung begreifen und davon profitieren – in materieller und sozialer Hinsicht. In Deutschland ist Andernach in Rheinland Pfalz das wohl bekannteste Beispiel einer „essbaren Stadt“.

Erinnerte Zukunft / Sehnsucht nach Gestern und Morgen
Teil 5: Glosse – Die Macht der Nostalgie

Das Leben ist kein Ponyhof – Nostalgie schon. Schwierig wird es, wenn man über nostalgische Momente die Vergangenheit neu erfindet, Geschichte nostalgisch einfärbt und damit neu schreibt. Wenn von Diktaturen nur noch Autobahnen und Trabbis übrig bleiben. Nostalgie kommt dann ungelegen, wenn die Rückbesinnung dazu führt, nichts ändern zu wollen, wenn man etwas ändern muss. Wir wollen doch nichts Böses, wir wollen bloß, dass alles wieder wird wie früher. Wir plärren, und wir verstummen gesättigt, sobald uns jemand den Nostalgie-Schnuller in den Mund steckt. Wir wollen Frieden, und wenn jemand seine Partei als Friedenspartei deklariert, dann geben wir ihr unsere Stimme. Dann wird alles wieder gut. Dann sind wir wieder da, wo wir vor zehn Jahren waren. Damals, als Putin die Krim besetzte, da war die Welt noch in Ordnung.

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