"Und sehen wir uns nicht in dieser Welt, dann sehen wir uns in Bielefeld!“, sang Udo Lindenberg nicht ohne Ironie über die als langweilig verschriene Stadt. Zumindest musicalmäßig ist Bielefeld mittlerweile eine Reise wert. Diesmal wagte man sich an George und Ira Gershwins Klassiker „Girl Crazy“ aus dem Jahre 1930, das Ken Ludwig 1992 für den Broadway „runderneuerte“. Unter dem Titel „Crazy for you“ feiert es seitdem weltweit Triumphe. Kein Wunder, enthält es doch so viele Gershwin-Hits wie keine Produktion zuvor. Olaf Strieb inszenierte die Geschichte vom New Yorker Bankierssohn, der von einer Karriere als Musicalstar träumt und sich happyendlich im Wilden Westen seinen Traum erfüllt und die große Liebe findet, schwungvoll und mit gekonnten Anleihen beim Slapstick und den Marx-Brothers. Jochen Schmidtke studierte dazu eine Choreographie ein, deren Step- und Tanznummern weit über dem Niveau sonstiger Stadttheater-Aufführungen liegen. Hier macht sich offenbar die Zusammenarbeit mit der „German Musical Academy Osnabrück“ bezahlt. Genauso ein Glücksgriff: die Verpflichtung von Jens Janke und Karin Seyfried für die beiden Hauptrollen. Wenn sie über die Bühne schweben, dann sind sie nicht weit entfernt vom Charisma eines der großen Broadway-Tanzpaare, wie Marge und Gower Champion.
Der „Star“ der Dortmunder „Evita“-Aufführung ist dagegen Harald B. Thors Bühnenbild: ein riesiger Kinosaal, in den man aus Sicht der Leinwand blickt und der durch Fahr - und Hebeelemente immer neue Schauplätze illusioniert. Auch Andrew Lloyd Webbers wohl reifstes Werk um die legendäre argentinische Präsidentengattin Eva Perón lebt vom Charisma der Hauptdarstellerin. Glaubte ich bisher, dass die Broadway-erfahrene Anna Montanaro – die im Sommer bei den Freilichtspielen Tecklenburg in dieser Rolle brillierte – hierzulande die Idealbesetzung ist, so konnte mich Ann Mandrella hier überzeugen, dass sie ihrer Kollegin in nichts nachsteht. Dazu liefert Stefan Huber eine stringente Inszenierung ab, und Eric Rentmeister gelingt eine witzig pointierte Choreographie.
Das dritte Highlight der noch jungen Musical-Saison findet im experimentierfreudigen Theater Hagen statt, das sich nach der gelungenen „Sweeney Todd“- Inszenierung an ein weiteres Werk des wohl größten lebenden amerikanischen Komponisten wagt.
Stephen Sondheims „Into the Woods“ ist eine geistreiche Verknüpfung des amerikanischen Märchens von „Hans und der Bohnenranke“ mit Motiven aus Grimms Märchen, die Sondheim und sein Autor James Lapine unter dem Blickwinkel von Bruno Bettelheims psychoanalytischer Deutung betrachten. Als Lockvogel engagierte man die Schlager-Ikone Guildo Horn, der als Erzähler durch das geniale Märchen-Verwirrspiel führt, dass Gil Mehmert mit einem bis in die kleinste Nebenrolle hinein homogenen Ensemble inszeniert hat. Kati Farkas minimalistische, aber
wunderbar „passende“ Choreographie und Janina Mendrochs stimmungsvoll-verspielte Ausstattung veredeln dieses Meisterwerk des modernen Musik-Theaters, bei dem erstaunlicherweise auch die deutsche Übersetzung von Michael Kunze die Qualität des Originals hält.
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