Auf der rechten Bühnenhälfte der Kölner Oper thront pyramidenförmig das Gürzenich-Orchester mit roten Fez-Hüten. Soll hier einer der großen Klassiker des Broadways dem „Humba, Humba,Tätärä“ der Kölner Karnevals geopfert werden, fragt man sich verwundert. Doch dann kommt von links eine offensichtlich noch ungeschminkte Frau im schwarzen Tanz-Dress auf die nur mit Requisitenkoffern bestückte Spielfläche. A cappella beginnt sie, „Am ersten Abend der neuen Show“ zu singen. Sofort entfaltet die bekannte Bühnen- und Filmschauspielerin Dagmar Manzel jenes Charisma, das nur den wirklich großen Stars vorbehalten ist.
Man feiert das Ende der Proben zu Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“, mit der die Theatertruppe um Regisseur und Hauptdarsteller Fred Graham (schöner Bassbariton: Claudio Otelli) auf Tournee gehen will. Da Fred für die Rolle der Katharina seine Ex-Frau Lilli (Dagmar Manzel) verpflichtet hat, ist das Desaster vorprogrammiert. Hinter den Kulissen streiten sie sich genauso wie als Petruchio und Katharina auf der Bühne. Vor allem weil Lilli eifersüchtig auf ihre Kollegin Lois ist, auf die neben Fred auch der spielsüchtige Bill ein Auge geworfen hat.
Aus den beiden thematisch parallel verlaufenden Handlungen bezieht der Musical-Klassiker „Kiss me Kate“ seinen Reiz. Und natürlich aus den geistreichen, hintergründigen Song-Texten Cole Porters, die elisabethanisches Englisch mit modernem Großstadt-Slang verbinden. Dieser geht in der Eindeutschung fast völlig verloren, auch wenn sich Susanne Wolfs neue deutsche Textfassung bemüht, den Zeitgeist zu treffen. Mit den gleichen Schwierigkeiten hat das Orchester zu kämpfen, das unter der straffen Leitung von Koen Schoots die jazzigen Arrangements von Don Sebesky aus dem Broadway-Revival (1999) übernommen hat. Sie passen in ihrer Aggressivität nicht immer zu den Intentionen Porters und seines Original-Arrangeurs Robert Russell Bennett. Damit sind wir beim Problem des Abends. Regisseur Kosky hat einerseits das Inszenierungs-Konzept jenes Revivals kopiert, andererseits wollte er etwas entstauben, was gar nicht eingestaubt ist. Ihm schwebte eine Mischung aus „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ und der „Muppet-Show“ vor. Leider hat er sich dabei mehr auf die Show gestürzt und sie zu einem eher zirkus- denn musicalreifen
Spektakel mit Schwulen-Touch entwickelt. Auf der Bühne entfaltet sich ständig ein halbnacktes, bestrapstes Ensemble in Las-Vegas-Glitzer-Kluft oder fellinesken Phantasiekostümen. Von der Intensität eines Geschlechterkrieges ist wenig zu spüren in den Spielszenen, so dass so großartige Songs wie „Wunderbar“ sich nicht aus der Handlung entwickeln, sondern aufgesetzt wirken. Den „Schwan von Stratford upon Avon“ hat Kosky dem Stück fast gänzlich ausgetrieben. Statt Shakespeare beherrscht Roncalli das nicht von ungefähr an eine Manege erinnernde Bühnenbild (Klaus Grünberg).
Immerhin gibt es darin eine großartige Steppnummer von Robin Poell (Bill) zu sehen und die immer wieder die zerfahrene Inszenierung zusammenhaltende, wie ein HB-Männchen krächzende, fauchende Dagmar Manzel. Ihre „Zähmung“ ist allein schon das Eintrittsgeld wert.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zwischen Musical und Komödienstadl
„Bikini Skandal“ an der Kölner Volksbühne – Musical in NRW 08/24
Die Seele geraubt
„Hello Dolly“ am Gelsenkirchener MiR – Musical in NRW 04/24
Nicht gerade familientauglich
„Frankenstein Junior“ an der Oper Bonn – Musical in NRW 10/23
Wohliges Gruseln im Bergischen
„Addams Family“ im Wuppertaler TiC-Theater – Musical in NRW 06/23
Alle Jahre wieder
„Rocky Horror Show“ am Capitol Theater – Musical in NRW 06/22
Abschied von einer Diva
„Sunset Boulevard“ in Krefeld – Musical in NRW 04/22
Zwei Flops und ein Volltreffer
„Der Mann von La Mancha“ am Theater Münster – Musical in NRW 03/22
Schillernde Vielfalt
Endlich wieder Musicals auf den NRW-Bühnen – Musical in NRW 01/22
Hagen liegt am Broadway
Monty Pythons „Spamalot“ am Theater Hagen – Musical in NRW 11/21
Nur ein paar (Stepp-)Schritte vom Broadway entfernt
„Chicago“ an der Bonner Oper – Musical in NRW 10/21
Sting kann auch Musical
Deutsche Erstaufführung von „The Last Ship“ in Koblenz – Musical in NRW 09/21
Hippie-Flower-Power-Rock
„Hair“ auf Burg Wilhelmstein bei Aachen – Musical in NRW 07/21
Das Musical-Phänomen schlechthin
„The Fantasticks“ in Bad Godesberg – Musical in NRW 07/21
Schlager sind Trumpf
Fetzige Jukebox-Musical in Köln und Aachen – Musical in NRW 04/20
What a Feeling
„Flashdance“ – Vom Kultfilm zum Musical-Hit – Musical in NRW 03/20
Nicht totzukriegender Musical-Klassiker
„My Fair Lady“ am Grenzlandtheater Aachen – Musical in NRW 02/20
Musicals vom Feinsten
„Chicago“ in Koblenz und „I Love You…“ in Aachen – Musical in NRW 01/20
Vom Filmklassiker zum Broadway-Hit
„Pretty Woman“ feiert seine europäische Erstaufführung – Musical in NRW 12/19
Broadway unverfälscht – aber nicht jugendfrei
„The Book of Mormon“ als einziges deutsches Gastspiel in Köln – Musical in NRW 11/19
Jecker gehts nimmer
Travestie-Musical in Köln, „Blues Brothers“ in Wuppertal – Musical in NRW 11/19
Duell der Duos
„Sherlock Musical“ und „West Side Story“ – Musical in NRW 10/19
Erinnerungen an Kino-Glücksgefühle
„Doktor Schiwago“ auf der Freilichtbühne und ein Tipp fürs Heimkino – Musical in NRW 09/19
Broadway unterm Sternenzelt
Freiluft-Musicals warten mit Überraschungen auf – Musical in NRW 08/19
Dem Broadway ganz nahe
Musical-Highlights in Düsseldorf und Köln – Musical in NRW 07/19
Die „Fleischwerdung“ der guten Laune
„Singin‘ in the Rain“ in Wuppertal – Musical in NRW 06/19