„Grenzwertig“ – aber nur im Sinne unserer geographischen Musicalkolumne-Eingrenzung – ist die „Evita“-Inszenierung am Koblenzer Theater, zu der sich eine Reise ans Deutsche Eck lohnt. Denn so weit wie Markus Dietze wagte sich noch kein Regisseur weg vom Lloyd Webberschen Original, das die Lebensgeschichte von Eva Duarte erzählt. Die hatte sich, aus armen Verhältnissen kommend, als Sängerin und Schauspielerin bis zur Frau des argentinischen Präsidenten Perón hochgeschlafen. Durch ihr Charisma und ihr Eintreten für das einfache Volk steigt sie schließlich zur „Heiligen“ auf, stirbt aber schon mit 33 Jahren 1952 an Krebs. Dietze besetzte die Hauptrolle gleich mit vier Evitas: das Kind (Viktoria Eicher), die junge Sängerin und Schauspielerin (Julia Steingaß), die Geliebte Peróns (Malwina Makata) und die Politikerin (Raphaela Crossey). Da Dietze sie manchmal zu viert – öfter aber die drei „Älteren“ gemeinsam auftretend – mal abwechselnd, mal zusammen singen lässt, ändert sich die gewohnte Dramaturgie ständig. Statt emotionaler Identifikation mit der Polit-Ikone stellt sich Distanz ein, die zum Nachdenken über Zeit und Charakter provoziert. Die drei erwachsenen Evitas – dem Kind Eva mutet Dietze nur kurze Auftritte zu, die seine Darstellerin aber souverän meistert – überzeugen vor allem im imaginären Zusammenspiel. Hinzu kommt die bezaubernde Isabel Mascarenhas (als Peróns Ex-Geliebte), die „Du nimmst den Koffer wieder in die Hand“ zu einem der Show-Stopper des Abends macht. Konsequent haben Dietze und sein musikalischer Direktor Bruckman überflüssige musikalische Redundanzen aus der Partitur gestrichen, lassen sie auch schon mal eine Lied-Strophe zugunsten des Tempos weg. Das gibt dem jetzt nur noch knapp zweistündigen Stück eine bisher nicht gekannte Frische und Klarheit.
„Grenzwertig“ im eher künstlerischen Sinne ist das Singspiel „Auszeit“ am Rheinischen Landestheater Neuss, dessen Inszenierung der musikalische Leiter des Hauses, Walter Kiesbauer, selbst übernommen hat. Der liefert KEIN Stück mit Musik ab. Aber von der gibt’s viel zu hören auf dem Jakobsweg, auf den Kiesbauer sein Ensemble schickt: einen Manager, eine Journalistin, einen Lehrer und seine Frau, einen „Checker“, eine Heilpraktikerin und eine Studentin, denen ab und an der Urpilger Jakob als personifiziertes Gewissen begegnet.
Die Suche nach sich selbst wird beim gemeinsamen „Seelenritt“ nicht über Monologe oder Dialoge thematisiert, sondern über Popsongs, die teils mit neuen (deutschen) Text-Zeilen versehen sind. Sie sollen die Pilger charakterisieren, ihr Innerstes nach außen kehren. Aber weil Kiesbauer über dem Arrangieren die Schauspielführung vergessen hat, schleppen sich die Darsteller wie ein bemühtes Laien-Ensemble über den Pilgerweg und trällern dazu Lieder, zu denen ihnen meist die Stimme fehlt. Die im Programmheft aufgeworfene Frage „Schaffen sie den Weg, oder schafft er sie?“ beantwortet sich schnell. „Auszeit!“ schafft den Zuschauer, der sich schon bald im Hape Kerkelingschen „ich bin dann mal weg“-Sinn innerlich verabschiedet.
„Evita” | 4./13./17./28./30.3. | Theater Koblenz | www.theater-koblenz.de
„Auszeit” | 15.3. 20 Uhr | Forum Niederberg, Velbert | www.rlt-neuss.de
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