Wenn es um die Musik von Astor Piazzolla geht, endet ein Konzert nicht selten mit dem „Libertango“: Ein Welthit mit Sogwirkung, herrlich aufgeblasen in einer Besetzung mit Streichorchester, eine Hymne für die Freiheit in aktueller und vergangener Zeit. Eigentlich als Auftragswerk im Tangosujet geschrieben, meinte es mehr die Befreiung des Tango hin zum Tango Nuevo, einer Kunstmusik, die Piazzolla tatsächlich erfunden hat. Bei der berühmten Komponistenlehrerin Nadia Boulanger durfte der argentinische Bandoneon-Spieler und Pianist Tonkunst studieren. Boulanger war es auch, die ihm mit philosophischem Weitblick nach einer Tango-Kostprobe am Klavier seine Markenzugehörigkeit definiert hat: „Das ist der wahre Piazzolla – verlasse ihn niemals.“
Der wahre Martynas Levickis erlebt als dreijähriger Bub ein Klavierkonzert auf der Mattscheibe. Sein Berufswunsch „Pianist“ reift in diesem Moment. Da kein Klavier im Familienbudget vorgesehen ist, kaufen die begeisterten Eltern ein Kinder-Akkordeon. Martynas nennt es „Zauberbox“, und er lernt schnell darauf zu zaubern – und zu verzaubern. Mit acht Jahren erhält er Unterricht im Heimatland Litauen, mit 13 gewinnt er den ersten Wettbewerb, mit 20 Jahren entscheidet er die Akkordeon-Weltmeisterschaft für sich. Es folgt eine Talentshow im Fernsehen, das verbreitet sich in den Neuen Medien schnell weltweit. In London, wo er an der Royal Academy of Music seinen Bachelor abschließt, kennt ihn plötzlich die Queen – im Baltikum wird er zum Popstar. Sein Debütalbum stürmt die Klassik-Charts – das gab es noch nie mit einem Akkordeon-Spieler.
Jetzt gastiert er in Essen mit dem Stuttgarter Kammerorchester, mit einigen Hits des Tango-Neuerfinders Piazzolla, aber auch rumänischen Volkstänzen von Béla Bartók und Werken seines französischen Kollegen Franck Angelis, ebenfalls ein vielfach prämierter Virtuose. Dazu kommt eine Prise Jazz in einem Werk des bei Cannes geborenen Richard Galliano, der die Weltjazzszene abgespielt hat und in Projekte der ganz großen Jazzstars eingebunden war. Eröffnen wird das Konzert ein Streichorchesterstück des polnischen Komponisten Wojciech Kilar, der die Gleichförmigkeit der Minimaltechnik herrlich bunt auffächert und zu einem ouvertürenwerten Höllentanz steigert – ein multistilistisches Programm. Piazzolla hätte es gefallen.
Martynas Levickis: Best of Piazzolla | So 19.1. | Philharmonie Essen | 0201 812 20
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