Wenn Moers ruft, stehen alle anderen Bühnen der zeitgenössischen Musik in diesem Monat in unserer Region hinten an. Die Dosis, die der musikalische Gast in dem berühmten Zirkuszelt im Schlosspark verabreicht bekommt, ist laut, schrill, unterhaltsam, anregend, abstoßend, anrührend, multimedial, ursprünglich … alle Sinne werden bedient.
Berauschend sind auch die Abende, die Hunderte von Altfreaks vor ihren Zelten oder schräg gespannten Planen rund um die Spielstätte im größten Zeltlager NRWs verbringen, auf antiken Campingstühlen oder gedrehten Bierkisten, ein natürlich manipuliertes Lächeln zwischen den Barthaaren, die Kinder neben Grillkohle und Kühlbox. Diese Menschen, die das Bild des Festivals nach außen hin und besonders für die Moerser Bürgerschaft beim Pfingstspaziergang prägen, konsumieren nur Würstchen, Bier und die frische Luft nach dem obligatorischen Regenguss – keine Musik. Aber sie verkörpern den müde gewordenen Freigeist, der einmal brennend heiß über das Festivalgelände wehte – vorsichtshalber war damals die Städtische Feuerwehrkapelle in ein Zwiegespräch mit Freejazzern aktiv eingebunden.
Die letzten zwei der 37 Geschichtsjahre des Festivals haben sich auf alte Prinzipien berufen und wollen eine Momentaufnahme dessen zeigen, was Künstler auf die Bühnen der Welt bringen – früher entstanden in Moers Trends und Strömungen, heute werden sie meist geliefert. Aber die rein quantitative Vielfalt und die Buntheit der musikalischen Erscheinungen halten wacker gegen die Abgebrühtheit und Übersättigung des informierten Publikums.
Das Fest hält verschiedene scharfe Waffen bereit. John Zorn trägt die Power im Namen, seine erbarmungslosen Lautstärkeattacken sind berüchtigt. Er verbietet Ton- und Bildaufnahmen, Zorn bleibt exklusiv unreproduzierbar – kein Beweismaterial. Die Band „Battles“ um Tyondai, den Sohn von Anthony Braxton, einer Ikone des Moersfestes, presst den gesamten Kanon von Rock, Pop, Experimental, Electronic und Improvisation zusammen. Das folgende Duo „Punkt“, zwei Soundmagiere, zaubern aus dem frisch gehörten Konzert einen live-remix – ein neues Konzert entsteht, dazu singt die norwegische Improvisatorin Sidsel Endresen.
Viele Künstler versuchen, Vergangenes – und wenn es nur wenige Minuten alt ist – in neuem Licht zu präsentieren. Uralte Instrumente spielen die spanischen Zwillingsschwestern von Ttukunak. Der amerikanische Pianist Jason Moran lässt Thelonius Monk hochleben. Cecil Taylor, fast achtzig Jahre alt, lebt noch und spielt sich selbst. Die norwegische Gruppe „Supersilent“ hat sich die Gitarrenlegende Terje Rypdal eingeladen. Und die Campbell Brothers aus den Staaten haben eine Glaubensschwester mitgebracht, um ihre Freude an der Musik im Allgemeinen und der Steel Guitar im Besonderen am Niederrhein erklingen zu lassen.
Wieder wagt Moers einen ganz individuellen Blick in die Welt. Max Planck wusste: „Das Suchen allein genügt nicht, es muss auch erfolgreich sein!“ Das gilt für die Wissenschaft, für zeitgenössische Kunst nur bedingt. Denn ihr fehlt klar das Ziel.
Information: www.moers-festival.de
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