Es geht auch anders. Zwischen den Wechselausstellungen und der Dauerpräsentation der eigenen Sammlung liegt die Möglichkeit, dass ein Künstler auf längere Zeit eine architekturbezogene Arbeit anfertigt. Der Idee der Wandmalerei wenden sich indes verblüffend wenige Museen zu. Positive Ausnahmen sind in NRW das Kunstmuseum in der Alten Post in Mülheim und das Ludwig Forum in Aachen.
In Mülheim wird das Treppenhaus, das den Charme eines Verwaltungsgebäudes hat, bespielt. Zuletzt hat dort Paul Thuile wacklig zarte Graphitzeichnungen auf den Wänden aufgebracht. Der junge, in Karlsruhe und Zürich lebende Andreas Lorenschat greift nun Thuiles poetischen Charakter auf. Auch er verzichtet auf Farbe und geht punktuell vor. Lorenschat ordnet maschinenschriftliche Textzeilen, Satzfragmente in Linien an, sie lugen aus den Kanten heraus, laufen aufeinander zu und verschmelzen oder stehen als Horizontale über der Fußbodenleiste. Die Texte selbst kreisen um Erinnerung und Vergessen, verharren in Möglichkeiten, bis die nächste Zeile auf eine andere Fährte lockt. Man muss nicht stehen bleiben und lesen. Dann aber wird man belohnt.
Der fragmentarische und vorübergehende Charakter kennzeichnet auf etwas andere Weise ebenso das Werk von Dan Perjovschi. Der Rumäne gehört zu den Stars eines weltumspannenden Kunstbetriebs, der das lebhaft Fluktuierende des Gesellschafts- und Wirtschaftslebens thematisiert. Ganz im Stile der Pflastermaler zeichnet Perjovschi mit Kreide oder schwarzem Stift Darstellungen zwischen Comic und Piktogramm auf die Wände. Jedes Motiv steht für sich, in der Summe erweist sich dies als kritische Bestandsaufnahme der Realität. Das funktioniert ideal im Ludwig Forum in Aachen, mit dem (bewährten) Double Wall-Projekt, auf einander gegenüber liegenden Flächen, die aus dem Untergeschoss über zwei Stockwerke ragen. Natürlich spielt die Unmöglichkeit mit, beide Wände gleichzeitig zu sehen. Perjovschi thematisiert hier den Kreislauf des Kapitalismus, auch die ökonomische Situation des Künstlers und die Vereinnahmung durch ein Erfolgssystem: Schon für sich eindrucksvoll, witzig und ernst. Und dass nun parallel im Ludwig Forum die plastischen und zeichnerischen Arbeiten des zivilisationskritischen Niederländers Joep van Lieshout zu sehen sind, der ähnliche Überlegungen anstellt ... ist gute Planung und zweimal gut gemacht. Aber wäre da nicht auch auf Lawrence Weiner hinzuweisen, den Altmeister des (konzeptuellen) Wandtextes im öffentlichen Raum? Seine Werkschau im Ständehaus in Düsseldorf wird begleitet von einem Schriftband auf der Fassade der Kunstsammlung am Grabbeplatz wie auch auf einer Straßenbahn im Stadtraum. Beweglichkeit spielt eine Rolle, hier wie da.
Andreas Lorenschat: an den Rändern ein Schein nur, bis 2009, Kunstmuseum in der Alten Post, Viktoriaplatz in Mülheim/R. I 0208 455 41 38 I www.kunstmuseum-mh.de
Dan Perjovschi: Recession, bis 26. April 2009, Ludwig Forum, Jülicher Straße 97-109 in Aachen I 0241 180 71 04 I www.ludwigforum.de
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