Die abweichenden Einschätzungen zur zeitgenössischen Fotografie als Kunst nehmen erfreulicherweise zu. Nachdem etliche Jahre die „Neue Düsseldorfer Schule der Fotografie“ aus der Akademieklasse von Bernhard Becher pauschal gefeiert wurde, wird mittlerweile genauer hingeschaut. Dazu tragen erstaunliche zeitgenössische Positionen bei, etwa von Wolfgang Tillmans und Christopher Williams; nun werden auch „Altmeister“ wie Hans Peter Feldmann, der bislang als Konzeptkünstler „gelesen wurde“, neu entdeckt. – Also, was ist überhaupt Fotografie in der Kunst? Und was passiert in Zeiten der Digitalisierung mit ihr, können wir noch dem trauen, was wir sehen? Überhaupt, was zeichnet schließlich herausragende Fotografie aus – doch nicht etwa Farbe, Brillanz, Schärfe, ein attraktives Motiv, dessen kompositorische Harmonie, ein monumentales Format?
In der Ausstellung „(Mis)Understanding Photography“ im Folkwang Museum Essen sieht man alles, nur das nicht. Man sieht hingegen ein Bild, das zunächst wie ein kleiner Abzug einer bekannten Gursky-Arbeit aussieht, aber eben nicht von ihm ist. Die Fotografien in Essen fragen nach den Bedingungen ihres Metiers, dessen Grenzen und nach dem, was sie zeigen. Zentrales Thema dieser Ausstellung ist das Selbstverständnis der Fotografie, der bewusste, noch intensivierte Umgang mit ihren Rahmenbedingungen. Die Fotografie betont hierbei ihre Fehler und kultiviert diese sozusagen. Sie vergegenwärtigt ihre Konstituenten, die technischen Abläufe und thematisiert sie noch. Dazu gehört ihre Befähigung zur zehntelsekündlichen Dokumentation, aufgrund derer mehr zu sehen ist, als wir in Realzeit wahrnehmen, also in der Aufsplitterung in Sequenzen. Einzelne Künstler arbeiten mit Unschärfen oder Entwicklungsfehlern oder nehmen Fotografien aus fremden Quellen – wie weit das reicht, zeigt jetzt die Ausstellung, die anhand etlicher wichtiger Künstler-Fotografen aber nur Einblicke in die Möglichkeiten liefern kann. Zugleich sind im Ausstellungsraum Displays aufgebaut, auf denen wir Statements von Künstlern über ihr eigenes Medium und ihre Herangehensweise lesen können – eine nützliche Anthologie, um weiter zu hinterfragen, was das „Eigentliche“ von Fotografie ausmacht.
Der hohe qualitative und theoretische Anspruch dieser Ausstellung erklärt sich vielleicht aus dem Stellenwert der Fotografischen Abteilung in Essen, die von Ute Eskildsen aufgebaut wurde, und dadurch, dass ihr jetziger Leiter Florian Ebner als Kurator für den Deutschen Pavillon auf der kommenden Biennale in Venedig berufen wurde und damit unter besonderer Aufmerksamkeit steht. Und weil das Thema so vielschichtig ist, ist nützlich, dass zeitgleich hier, im Folkwang Museum eine weitere Ausstellung aus dem eigenen Sammlungsbestand untersucht, was in der Umstellung von analoger auf digitale Fotografie an (künstlerisch genutzten) Effekten verloren geht. Und dann trifft es sich zusätzlich gut, dass gar nicht so weit weg, nämlich im Museum Ludwig in Köln, ebenfalls Ausstellungen zur Fotografie zu sehen sind, die nach ihrem musealen Charakter und ihrer Verwendung als subtile dokumentarische Aussage fragen. Der Kreis schließt sich.
„(Mis)Understanding Photography. Werke und Manifeste“ | bis 17.8. | Museum Folkwang, Essen | 02228 942 50
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