In Büchern kann man Schnitte und Bohrungen vollziehen. Was mag wohl geschehen, wenn man gleiches mit einem E-Book praktizieren würde. Der Vergleich zu den digitalen Textmedien drängt sich nicht nur dort auf, wo Katharina Hinsberg kunstvolle Schnittgestalten in den Seiten eines von ihr gestalteten Buches hinterlässt. Hinsberg ist eine der Teilnehmerinnen, die Nora Schattauer für die von ihr kuratierte Ausstellung unter dem Titel „Bestbooks – 8 Positionen zum Künstlerbuch“ in der Kunst- und Museumsbibliothek zeigt.
Zwar hat die Bibliothek in Köln schon spektakulärere Buchschauen präsentiert, gleichwohl eröffnet Nora Schattauers Auswahl - die neben ihren eigenen auch Arbeiten von Paul Heimbach, Norbert Prangenberg, Suse Wiegand, Pia Niewöhner, Katharina Hinsberg, Lutz Fritsch und Michael Sauer umfasst – interessante Perspektiven auf den Umgang mit dem Kunstbuch. Paul Heimbach zeigt Zeitungsseiten, auf denen vereinzelte Buchstaben fehlen. Leerstellen entstehen, die den Informationstext subtil verfremden. Sinn wird demontiert und Kontinuität beschädigt. Heimbach präsentiert aber auch Zeitungsseiten, auf denen nur der Buchstabe M erhalten geblieben ist. Selten hat sich die Liebeserklärung an einen Buchstaben, so graziöse und humorvoll ausgenommen.
Suse Wiegand zeigt spielkartengroße Seiten mit Fotografien. „Plastische Erinnerung an ein Körperereignis“ ist eine ihrer Serien überschrieben und man sieht unter dem Bildtitel „Physik für Mädchen“ den roten Sattel eines Mädchenfahrrads, der mit kalten, weißen Schneekristallen bedeckt ist. Sinnlich geht es nicht nur bei Wiegand, sondern auch bei Schattauer zu, deren Papierobjekte aus einer unendlichen Zahl von Linien bestehen, die noch feiner als ein Haar sind und sich in ihrer scheinbaren Chaotik zu Strukturen verweben. Es entstehen Grafiken, die ein Bewegungsdelirium festhält, das die Betrachter in einen Sog zieht.
An der Schwelle zum Digitalen Zeitalter rückt die Ausstellung ins Bewusstsein, wie das Buch Bewegung dokumentiert. Wie es seine Funktion als definitiver Träger von Zeichen erfüllt, im Gegensatz zum Bildschirn, auf dem sich jede Spur ungeschehen machen lässt. Das Buch wird lustvoll als Medium benutzt, das über den Schrifttext hinaus authentische Reaktionen von Menschen enthält, die unmittelbar körperlich sind. Hier hat jemand Hand angelegt und wir sehen das Ergebnis, das nicht über ein digitales Programm errechnet werden musste. Letztlich geben uns die „Bestbooks“ eine Vorstellung davon, dass im Buch ein mediales Format vorliegt, das von der menschlichen Kreativität wohl nie vollständig wird ausgeschöpft werden können.
Ausstellung bis 21. Jan. 2013 in Köln. Öffnungszeiten: Di-Do 10 – 21 Uhr, Fr-So 10 -18 Uhr, Mo 14-21 Uhr. Bischofsgartenstr. 1, Köln, danach wird die Ausstellung in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin zu sehen sein.
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