Wie weit dürfen Bilder gehen, um noch Bilder zu sein? Wie klar muss und wie unklar darf ihr „look“ sein, wie vertragen sich zeitgemäß und überzeitlich miteinander und wie verbindlich ist Abstraktion? So und ähnlich lauten die Fragestellungen, denen Künstler-Forscher wie Johannes Brus und Christopher Wool nachgehen.
Ein Überblick über das Werk des Essener Bildhauers und Fotokünstlers Brus findet derzeit im museum kunst palast in Düsseldorf statt. Im Mittelpunkt stehen die Arbeiten mit Fotografie. Brus ist ein Alchimist mit Affinitäten zur Malerei. Er arbeitet mit historischem Fotomaterial, das er vergrößert, wobei er im Entwicklungsprozess eingreift, einerseits gezielt vorgeht, andererseits dem Zufall seinen Lauf lässt. Manches verschwindet, Neues deutet sich an, der Betrachter muss sein Assoziationsvermögen einbringen. Konsequenterweise arbeitet Brus mit Vorlagen, die uns berühren und Exotisches, eine Kolonialstimmung und seltene Tiere aufrufen. Er schafft Staunen und spricht das Unbewusste an. Und gerade im Unscharfen, Prozesshaften ist jedes Bild eine kleine Reise ins Innere der Menschheit mit ihren Abenteuern.
Und Christopher Wool nun, der anlässlich der Verleihung des Wolfgang-Hahn-Preises im Museum Ludwig in Köln ausstellt? Wo Brus zum Gegenstand hin arbeitet, strebt Wool tatsächlich von ihm weg. Aber auch der amerikanische Maler ist Experimentator und Grenzgänger der Medien, der immer noch einen Schritt weitergeht. Gemalt in Schwarz, Weiß und lichtem Grau, vorgetragen in breiten gestischen Bewegungen, aus denen dunkle Linien auftauchen, dann wieder verdeckt werden und wie im Fluss ausfransen, blitzt manchmal so etwas wie schnell hingeworfene Schrift auf – ein Spiel der Balancen und Gewichte setzt zwischen den verschiedenen Malschichten ein, das gleichwohl nichts erhellt oder erklärt. Ist das nicht großartig? Wool erfindet – wie Brus – Bilder, die es so noch nicht gab und die es niemals wieder geben wird. Und er teilt Wesentliches über das Metier mit, das ihm am Herzen liegt: die Malerei.
Wie komplex die Entstehung dieser Bilder zwischen Malerei mit Lack auf Leinwand, Siebdruck, Foto und digitaler Arbeit ist, muss nur als Information gewusst werden. Aber in der Ausstellung gibt es etwas abgeschirmt einen kabinettartigen Raum mit kleinformatigen s/w-Fotos: aufgenommen von Wool in New York, abends beim Weg vom Atelier nach Hause, dann wenn der Kopf leer ist, wie beiläufig auf den Bürgersteig oder Straßenecken haltend und ganz unspektakulär – und doch, voller Hinweise, wie weit das Gegenständliche in die Abstraktion zu reichen vermag. Also, einfach anschauen.
Johannes Brus: Giving Picture for Trophy I bis 30. August im museum kunst palast in Düsseldorf I www.museum-kunst-palast.de
Christopher Wool: Porto – Köln I bis 12. Juli im Museum Ludwig in Köln I www.museum-ludwig.de
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