Der Realismus der Renaissance-Malerei nördlich der Alpen ist sensationell. Das betrifft nicht nur die erste Malergeneration, sondern etwa auch den etwas später geborenen Joos van Cleve (1485-1540). Ihm widmet derzeit das Suermondt-Ludwig-Museum eine Ausstellung, die eine Schule des aufmerksamen Sehens ist. Die Malerei von Joos van Cleve brilliert in der Genauigkeit der Darstellung, in der Farbigkeit und in der Intensität des Ausdrucks. Dabei hat Joos van Cleve seine Kenntnisse der italienischen Kunst einfließen lassen, im Besonderen von Leonardo da Vinci, dem er die weichen Konturen und die Lichtwirkung „abschaute“. Das zeigt sich besonders bei den Porträts, neben den Altarbildern sein zweites wichtiges Arbeitsfeld. Seine Auftragsbildnisse verbinden die Klarheit mit Eleganz und bringen den jeweiligen Charakter zum Ausdruck; zumal mit einem innigen Inkarnat wird jedes Porträt zu einem Ereignis. Dass sich Joos van Cleve der herausragenden Stellung seiner Porträtkunst sicher war, erkennen wir daran, wie er sich selbst gemalt hat: überaus wach aus dem Bild schauend, selbstbewusst und würdevoll.
Diese Ausstellung ist Irene Ludwig gewidmet, der Aachener Kunstsammlerin und Mäzenin, die, im vergangen Jahr verstorben, zusammen mit ihrem Mann Peter Ludwig die Aktivitäten zur älteren Kunst gefördert hat und so auch Joos van Cleve für die Stiftung Ludwig angekauft hat. Indes ist uns die Sammlung Ludwig vor allem mit ihren Beständen zur internationalen Kunst des 20. Jahrhunderts vertraut, die sich heute in verschiedenen Ludwig-Museen weltweit befinden. Und dann gibt es noch – quasi als Stammhaus – das Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen, das nun sein 20jähriges Bestehen feiert.
Die Jubiläumsausstellung widmet sich dem (überwiegend) amerikanischen Realismus im Übergang von den 1960er Jahren zu den 1970er Jahren, in den Bereichen Malerei, Skulptur und Fotografie. In der Ausstellung „Hyper Real“ geht es um Identität und Wahrheit: um die möglichst genaue, dabei kritische Wiedergabe der Wirklichkeit. In der Kunstrichtung des Hyperrealismus scheinen die Malereien Fotografien zu sein. Die Jahre um 1970 nehmen eine Schlüsselstellung in der zeitgenössischen künstlerischen Rezeption von Politik und Gesellschaft ein. Dies betrifft in den Vereinigten Staaten besonders den Vietnamkrieg und die Nixon-Ära. Bei beiden stellte sich die Frage nach der Rolle der Informationsmedien in besonderer Weise. Hier wirkte die Kunst als Korrektiv.
Einbezogen ist in die Ausstellung auch die amerikanische Pop Art, die wiederum Aspekte der Werbung und des Star-Kultes thematisierte. Zudem wird die Kunst bis in die 1980er Jahre weitergeführt, was für die Ausstellung zwar nicht zwingend, aber bereichernd ist. Im Grunde ist dies ein Querschnitt durch die Sammlung Ludwig mit etlichen Hauptwerken unseres kulturellen Gedächtnisses. Und vielleicht sollte man bei dieser großartigen Gelegenheit auch in Gedanken die Porträts von Chuck Close und Joos van Cleve einander gegenüber stellen.
Joos van Cleve – „Leonardo des Nordens“ I Bis 26.6. I Suermondt-Ludwig-Museum Aachen I 0241 47 98 00
„Hyper Real – Kunst und Amerika um 1970“ I Bis 19.6. I Ludwig Forum Aachen
0241 180 71 04
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