Eine Aufgabe der zeitgenössischen Kunst ist es, die Gegenwart zu transzendieren, auf sie zu reagieren und darin unangepasst und weitsichtig zu sein. Der Fotograf Lewis Baltz ist seiner Zeit schon immer voraus gewesen, und ist das, was er gemacht hat, erst salonfähig, so befindet er sich längst auf einer anderen Fährte. Paul Thek ist vor allem mit Objekten und Installationen zu unserer Kultur und psychischen Verfasstheit in Erscheinung getreten, die sich der schnellen Durchschaubarkeit entziehen und tief Verwurzeltes mit lapidarer, auch humorvoller Beobachtung kombinieren – Werke beider Künstler sind derzeit in Museen in Bonn und Duisburg ausgestellt.
Lewis Baltz wurde 1945 geboren; seit 1986 lebt er zunächst in Venedig und heute in Paris. Bekannt wurde Baltz in den 1970er Jahren im Kontext der „New Topographics“ in Amerika: mit kleinformatigen fotografischen Serien von industriellen Bauten inmitten profaner Landschaft, die er s/w in klarer Flächenaufteilung erfasst. Darin ist sich Baltz bis heute treu geblieben. Er dokumentiert Zivilisation und technologischen Fortschritt anhand von Architektur und Städtebau. Aber er wandelt seine Maßnahmen mit der Zeit. Von der s/w-Fotografie wechselt er zur großformatigen Farbfotografie und von dort zur Projektion im Außenraum. Der fotografische Blick schneidet das Motiv am Bildrand ab, wendet sich diesem wiederholt zu, wählt Perspektiven, mit denen man nicht gerechnet hat und die erst allmählich ihre Genauigkeit und eine entschiedene Aussage offenbaren.
Baltz' Landsmann Paul Thek (1933-1988) hingegen ist vorrangig Bildhauer und Objektkünstler. Auch er forscht, weitgehend von Europa aus, auf eigenwillige Weise zur Zivilisation. Aber während sich das sezierend analytische Erfassen bei Baltz unter der glatten Oberfläche der Fotografie ereignet, schreibt Thek die Nervosität direkt der Struktur seiner Arbeiten ein. Seine Sensibilität zielt aufs Körperliche und aufs Fragmentarische. Paul Thek, der mit seinen individuellen Mythologien schon zur documenta 1968 in Kassel eingeladen wurde, erstellte realistisch wirkende Fleischimitate, vertracktes Mobiliar und installative Behausungen mit alltäglichen Materialien. Diese raumgreifenden Arbeiten mit Hölzern und Fundobjekten, die er seit den frühen 1970er Jahren in Ausstellungsräumen errichtet hat, kennzeichnete das Provisorische. Natürlich waren sie extrem stark an seine Person gebunden, nach der Ausstellung wurden sie wieder abgebaut. Vorhanden sind nur noch Fotografien. Dies betrifft auch das Environment „Ark, Pyramid – Christmas“, das Thek 1973 im Duisburger Museum eingerichtet hat, begleitet von einem Krippenspiel mit Duisburger Kindern, welches seine Auseinandersetzung mit Religion und mit dem modernen Theater weiter zum Ausdruck gebracht hat. – Die aktuelle Ausstellung im LehmbruckMuseum nun zeigt Dokumente dieser damaligen Schau in Verbindung mit einigen Plastiken und Zeichnungen sowie Werken befreundeter Kollegen. Während das Kunstmuseum Bonn bei Lewis Baltz den konventionellen Weg der chronologisch angeordneten Retrospektive wählt, wird das Denken von Thek also von innen, aus dem Kontext heraus geschildert. In beiden Fällen geht es um die Vermittlung eines eigenwilligen Werkes.
„Lewis Baltz“ I bis 2. September I Kunstmuseum Bonn I www.kunstmuseum-bonn.de
„Paul Thek – in Process (Duisburg)“I bis 29.7.I LehmbruckMuseum, Duisburg I www.lehmbruckmuseum.de
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