Ausnahmezustand beim Klavierfestival. Der Konzertflügel, dessen Hersteller man sponsorenfreundlich stets ins Programmheft einträgt, ist kaum zu sehen. Chick Corea, der an Elektropiano und Keyboard steht, spielt mit seiner legendären Formation „Return to Forever“ gerade die einzige Zugabe des Abends – und was für eine. Einige Zuschauer, die bereits Richtung Parkautomat unterwegs sind, halten an, treten an die Bühne, andere kommen hinzu. Der „große“ Stanley Clarke (immer physiologisch und musikalisch gemeint), der das Schlussstück „School Days“ komponiert hat, animiert das Publikum wiederholt zum Klatschen, bevor mit einem für Klavierfest-Verhältnisse ohrenbetäubenden Schlussakkord das fast zweieinhalbstündige Konzert zu Ende geht. Die Leute stehen und jaulen. Rock ‚n’ Roll.
Neben Stanley Clarke am Bass und Lenny White am Schlagzeug, die seit den Siebzigern mit Corea zum festen Kern der Return to Forever Gruppe gehören, rundeten der Fusion-Violinist Jean Luc Ponty und Gitarrist Frank Gambale das Quintett ab. Return to Forever ist die Formation von Mastermind Chick Corea, die bis heute am stärksten das Fusion-Projekt des Altmeisters geprägt hat. Vom festen Dreierkern gab es im April ein neues Doppelalbum, aber live holt man sich für die Touren zwei andere Weggefährten auf die Bühne.
Diesmal tritt besonders der Australier Frank Gambale in der ersten Hälfte des Konzerts durch fein dosierte, fast schon zurückhaltende Solis hervor. Jazz-Klassiker wie Coreas „Captain Sẽnor Mouse“ aus dem legendären Fusion-Album „Hymne to the Seventh Galaxy“ werden dadurch auch live zu Grenzerlebnissen zwischen Rock und Jazz.
Es schwingt aber auch Klassik mit. Nicht nur am Flügel von Chick Corea, sondern im Spiel von Jean Luc Ponty. Der Franzose verblüfft mit seinen Solis ebenso wie mit seinem einwandfreien Deutsch, als er das Stück „Romantic Warrior“ ansagt. Kurz vor Schluss stimmt er mit Chick Corea Miles Davis´ „Spain“ ein. Während ein paar Minuten herrscht im Publikum Totenstille, so beeindruckend wirkt das Zusammenspiel der beiden Jazz-Größen.
Es ist die Ruhe vor dem kosmischen Sturm. In Stanley Clarkes „After the Cosmic Rain“ steigen Chick Corea und Lenny White langsam in das Solo von Clarke ein. Wie elektrifiziert steht Corea wieder an seinem Keyboard, White hebt sukzessiv das Tempo und Clarke spielt seinen Bass in einer Haltung, die eher an Angus Young von AC/DC erinnert. Der Klang flutet in den großen Saal hinaus und erreicht die oberen Ränge, erste stehende Ovationen folgen. Nach diesem Sturm hat man das Gefühl, nicht nur der Jazz-, sondern auch der Rockgeschichte beizuwohnen. Es hat sich an diesem Abend häufiger eingestellt.
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