Japan befindet sich im Fadenkreuz der Katastrophen. Heute sind es die Bedrohungen durch die Natur und die Folgen eines leichtfertigen Umgangs mit der Atomenergie, die das Land in Schockstarre versetzt hat. Eine Epoche hat ihr Ende gefunden. An ihrem Anfang stand ebenfalls eine Katastrophe, der Krieg und das Inferno der Atombombenabwürfe. Wie reflektiert man solche, jedes menschliche Maß übersteigenden Ereignisse? Mit der bloßen Dokumentation ist dem Unaussprechlichen nicht zu begegnen, befand Japans alter Meister der photographischen Kunst, Shomei Tomatsu, schon in den fünfziger Jahren. Heute sind ihm die panischen Fernsehbilder von Fukushima zu banal, er schaltete den Fernseher ab.
Statt Sachlichkeit wählte Tomatsu den subjektiven Blick auf die Wirklichkeit. Zupackend mit aller gebotenen Entschlossenheit fotografierte er die Folgen des Atombombenangriffs. Von ihm, dem „Godfather“ der japanischen Fotografie, wie ihn seine jüngeren Kollegen bezeichnen, sind jetzt Arbeiten in der Ausstellung „Japan 4“ zu sehen. Erstmals präsentieren die Galerien Jablonka und Pasquer gemeinsam eine Foto-Schau. Eine viel versprechende Entwicklung, wie gleich das erste Projekt der beiden Häuser zeigt. Mit Daido Moriyama, Yutaka Takanashi und Nobuyoshi Araki sind in Köln auch die drei prägenden Fotografen-Persönlichkeiten der Folgegeneration vertreten. Die Arbeit an der legendären Publikation „Provoke“ einte sie.
Takanashi mag zunächst der radikalste Stilist gewesen sein. Als sich Japan anschickte, den Weg zur sauberen, bunten Konsumgesellschaft einzuschlagen, zeigte Takanashi schmutzige, grobkörnige Bilder aus der Kampfzone des Alltags. Bilder wie ein wütender Schlag ins Gesicht der Betrachter.
Daido Moriyama, der sich gerne mit dem „Stray Dog“, einem schwitzenden Straßenköter, den er 1971 fotografierte, identifiziert, bietet die künstlerisch umfangreichste Entwicklungslinie. Die Ausstellung zeigt neben frühen Arbeiten auch das Bild „Kyoku / Erotica“ von 2007. Ein Leopard, der von der Straße aus einen Blick in eine Filiale von Cartier wirft. Ein langes, entbehrungsreiches Fotografenleben explodierte mit diesem Bild vor wenigen Jahren zur internationalen Erfolgsgeschichte. Über Aufmerksamkeit und satte Preise brauchte sich dagegen Nobuyoshi Araki nie zu beklagen. Mit seinen provokanten, die letzten Tabus aufspürenden erotischen Fotografien schockte Araki vor allem die westliche Kunstwelt. Von ihm präsentiert die Ausstellung eine bemerkenswerte Serie übermalter Akte. Araki zeichnet auf ihnen Bewegung und vor allem Berührung ein. Innerhalb seiner Werkgeschichte ein Quantensprung. So offenbart „Japan 4“ treffend die künstlerischen Elementarkräfte, mit denen Japan seit 50 Jahren die Entwicklung der fotografischen Kunst vorantreibt.
Ausstellung bis 29. 10. 2011, Di-Fr 15-18 Uhr, Sa 12-16, Lindenstr. 19 und Albertusstr. 9-11.
Mehr zum japanischen Fotografen Yutaka Takanashi unter:
Fotos von Japans Shooting Star Lieko Shiga in Köln
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23
Aus anderer Perspektive
Szenenwechsel der Sammlung im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/23
Kunst und Umgebung
„Produktive Räume“ in Haus Lange Haus Esters in Krefeld – Kunst in NRW 08/23
Dialog auf Gegenseitigkeit
„yours truly,“ im Museum Schloss Morsbroich – Kunst in NRW 07/23
Malerei im Fluss
Jan Kolata in Ratingen und in Düsseldorf – Kunst in NRW 06/23
Farben des Lichts
Etel Adnan im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/23
Kunst aus Worten und Sätzen
Jenny Holzer im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 04/23
Draußen, im Licht
Die Ölstudie im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 03/23
Draußen, immer
Ein Skulpturenprojekt in Monheim – Kunst in NRW 02/23
Bäume und Linien
Piet Mondrian in Düsseldorf – Kunst in NRW 01/23
Forschungsstation Zivilisation
Andrea Zittel im Haus Esters Krefeld – Kunst in NRW 12/22
Zeitgeschichte als Skulptur
Reinhard Mucha in der Kunstsammlung NRW – Kunst in NRW 11/22
Zügige Gesten auf den Punkt
Martha Jungwirth in der Kunsthalle Düsseldorf – Kunst in NRW 10/22