Wenn Tim Behren von „Fallhöhe“ spricht, dann meint er kein dramaturgisches Prinzip. Der 34-jährige Akrobat und Tänzer leitet mit Overhead Project eine der interessantesten und meist dekorierten Gruppen der Freien Szene in Nordrhein-Westfalen. Fallhöhe, das ist die potenzielle Gefahrendimension, in der sich ein menschlicher Körper befindet, wenn er einige Meter über der Erde schwebt. Gewöhnlich arbeitet Tim Behren mit seinem Kompagnon Florian Patschovsky zusammen, auch er ist ein professioneller Artist. Nun agiert Behren erstmals mit seinem jüngeren Bruder Paul in einer Produktion und das ändert die Verhältnisse. „Wenn dabei etwas in die Hose geht, trägt man länger daran“, meint Behren mit nachdenklicher Lässigkeit.
„Wir wollten schon oft etwas Gemeinsames auf der Bühne machen“, erklärt Paul Behren. Er kennt das Rampenlicht aus anderer Perspektive. Im Münchner Volkstheater gehörte Behren ebenso zum Ensemble wie im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Die Zeitschrift Theater Heute wählte ihn zum besten Nachwuchsschauspieler des Jahres. In Hamburg löste Paul Behren jedoch vor Kurzem seinen Vertrag bei Karin Beier auf, um die Welt des Stadttheaters gegen den rauen Wind der Freien Szene zu tauschen.
Auf Textarbeit hat Paul Behren derzeit keine Lust, ihn reize vielmehr das Repertoire an körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten, über das sein sechs Jahre älterer Bruder verfügt. Tim will hingegen „unbedingt Text dabei haben“, wenn ihre gemeinsame Produktion mit dem Titel „Bruder“ am 25. April in den Kölner Ehrenfeldstudios Premiere feiern wird. „Wo treffen sich Körper und Stimme, auf welcher Frequenz kommuniziert man?“ Das interessiert Tim Behren, der den Körper als ein einziges großes Wahrnehmungsorgan begreift.
Die Gegensätze, an denen man sich kreativ reiben kann, sind jedenfalls vorhanden. Wobei Tim und Paul, die in Tübingen als Söhne zweier Psychologen aufwuchsen, auch unterschiedliche Temperamente im Umgang mit der künstlerischen Arbeit mitbringen. Tim, der die Kompanie Overhead Project leitet und als Regisseur im letzten Herbst mit „My Body is your Body“ eine glänzende Produktion mit zwei jungen Akrobaten und einer Tänzerin realisierte, arbeitet zunehmend konzeptionell. Paul hingegen liebt eine „straffe Struktur“, um seine ganze Leidenschaft und Energie in eine Rolle einbringen zu können.
Wie kann man Widerstände und alte Verhaltensmuster aufbrechen? Eine Frage, der sich jede Beziehung stellen muss. Sie wird im Zentrum der neuen Produktion stehen. Männliche Kraft spielt dabei eine Rolle, denn den Gesetzen der Geburtenfolge entgehen Jungs nicht und der Lust an der Verausgabung, die man noch aus den Tagen wilder Tobereien kennt, wollen die beiden nun konsequent nachgehen. Man darf gespannt darauf sein, wie die Brüder Behren psychologische Zusammenhänge in Körperlichkeit übersetzen und wie sie das Unsagbare der Geschwisterbeziehung formulieren werden. Jeder von beiden bringt sein Publikum mit an die Rampe, so dass sich auch die Freien Szenen in Köln und Hamburg verschränken können. Nach der Premiere im Frühjahr am Rhein, folgt eine zweite im Hamburger Lichthof Theater im Herbst.
„Bruder“ | 25.(P) - 27.4. 20 Uhr, 28.4. 18 Uhr | Ehrenfeld Studios, Köln | karten@ehrenfeldstudios.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Den Blick weiten
Internationales Tanz-Netzwerk Studiotrade – Tanz in NRW 07/23
Tanzende Säcke
Tanzfuchs verzaubert mit „Papierstück“ junges Publikum – Tanz am Rhein 12/18
Alt und jung
Köln: „STILL(here)“ von Silke Z. – Tanz in NRW 11/16
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23
Kinshasa und Köln
„absence#4“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 09/23
Tänzerinnen als „bad feminist“
tanz.tausch in Köln – Tanz in NRW 08/23
Visionen, Mut und Fleiß
Rund zehn Jahre Kölner Tanzfaktur – Tanz in NRW 06/23
Dialoge der Körper
SoloDuo Tanzfestival in Köln – Tanz in NRW 05/23
Das überraschende Moment
Bühnenbildner miegL und seine Handschrift – Tanz in NRW 04/23
Gesellschaftlicher Seismograph
8. Internationales Bonner Tanzsolofestival – Tanz in NRW 03/23
Akustischer Raum für den Tanz
Jörg Ritzenhoff verändert die Tanzwahrnehmung – Tanz in NRW 02/23