Zugegeben, manchmal ist der Titel dieser Kolumne irreführend. Denn was in diesen Zeilen Monat für Monat unter dem Label „Unterhaltungsmusik“ besprochen wird, ist ja meistens erst dann interessant, wenn es über die kulturindustrielle Klebrigkeit hinausgeht. Zwischen dem 20. und 25. August 1991 geschah dies. In dieser Woche trafen sich in Olympia, im Nordosten der USA, eine Reihe von Underground-MusikerInnen zur International Pop Underground Convention, auf der sich alle Protagonistinnen einer Szene versammelt hatten, die vielleicht letzte Jugendbewegung mit Gitarren in der Hand bilden würde: Riot Grrrl.
Die Geschichte dieser Popfeministinnen hat jetzt die Essener Kulturwissenschaftlerin Katja Peglow zusammen mit dem Literaturwissenschaftler Jonas Engelmann im Buch „Riot Grrrl Revisited“ aufgearbeitet. „Zum ersten Mal in der Musikgeschichte wurden bei den Riot Grrrls Frauen zu Anführerinnen einer popkulturellen Bewegung“, erzählt sie. Zwar hatten schon in der Hochphase von Punk besonders junge Frauen die alten Rollen von Fan und Sängerin verlassen und erfolgreich Bands gegründet, waren aber mit dem Abebben der ersten Punkwelle wieder in der Versenkung verschwunden. Das sollte sich diesmal ändern. Die Platten, Bücher und Fanzines, „die uns ansprechen, in denen wir uns mit eingeschlossen und verstanden fühlen“, wie es im Riot Grrrl-Manifest von 1991 heißt, wurden im Selbstverlag produziert und per Eigenvertrieb um die Welt geschickt. So bildete sich ein Netzwerk, das auch dann noch Bestand hatte, als die Medien das Phänomen als „Girlie“ längst verniedlicht hatten. Und auch der Sound änderte sich im Laufe der Jahre. Waren die ersten Riot Grrrl-Veröffentlichungen noch lärmige Punkplatten, orientierten sich die Protagonistinnen der Szene spätestens ab den späten Neunzigern am DIY-Gedanken elektronischer Musik. So schafften die Riot Grrls den Brückenschlag zu queeren Subkulturen und wurden zu Vorbildern.
Wenn Beth Ditto, die Sängerin von The Gossip, am 30.7. als Headlinerin beim Juicy Beats auftritt, dann nur, weil sie als Jugendliche von den Riot Grrrls inspiriert wurde, ihre eigene Band zu gründen. „Nach der Aufbauarbeit der Initiative Rocksie! in den frühen Neunzigern ist spätestens mit Beth Dittos Auftritt das Phänomen auch im Ruhrgebiet angekommen“, urteilt Peglow. „Und dann findet zwei Wochen später noch der erste Slutwalk statt.“ Eine Parallele, die einleuchtet. Die Riot Grrrls forderten in ihren Songs immer wieder das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ein - genau wie es die Teilnehmerinnen der Slutwalks auch tun. Der erste Slutwalk fand im April 2011 in Toronto als Reaktion auf die Äußerung eines ein Polizisten statt. Dieser hatte erklärt, dass Frauen sich nicht „wie Schlampen“ kleiden sollten, wenn sie sexuelle Gewalt vermeiden wollten. „Dadurch findet eine Schuldumkehrung statt, die absolut fatal ist“ erklärt Anni Lischewski vom Organisationsteam Ruhr. Sexuelle Gewalt sei in erster Linie in ungleichen Machtpositionen begründet. In Anlehnung an die 2000 Frauen, die in bewusst ‚schlampiger‘ Kleidung zum Hauptquartier der Polizei in Toronto zogen, will der SlutWalk Ruhr am 13.8. in der Essener Innenstadt demonstrieren. „Wir gehen auf die Straße für unser Recht auf Selbstbestimmung - über unsere Körper und unsere Leben.“
Riot Grrrl Revisited - Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung hg. von Katja Peglow und Jonas Engelmann, Ventil Verlag 2011. 16,90€
SlutWalk Ruhr | 13.8.2011 | Essen | http://slutwalkruhr.blogsport.de
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