Zum 20. Jubiläum ihrer 1997 gegründeten Kammeroper Köln und zur Krönung ihrer 4. Spielzeit in der neuen Wirkungsstätte im Pulheimer Walzwerk entschieden sich die beiden engagierten Schwestern Esther Schaarmann (Intendantin) und Inga Hilsberg (Musikalische Leitung) für ein Highlight der Musical-Geschichte: Jerry Hermans „Hello, Dolly!“. Die Zeitlosigkeit des um 1890 spielenden Musicals wird durch die Entscheidung von Regisseur Holger Müller-Brandes, die Handlung in die 1960er Jahre zu verlegen, noch einmal betont: Die Heiratsvermittlerin Dolly Levi hat sich in den Kopf gesetzt, ihren (finanziell) attraktivsten Klienten, den geizigen Ladenbesitzer Horace Vandergelder, selbst zu heiraten. Der ist aber gerade nach New York gefahren, um der Putzmacherin Irene einen Heiratsantrag zu machen. Gleichzeitig haben sich seine beiden Lehrlinge Cornelius und Barnaby auf den Weg in die Großstadt gemacht, um endlich mal ein Mädchen zu küssen. Es kommt, wie es kommen muss: Irene verliebt sich in Cornelius und ihre Angestellte Minnie in Barnaby. In Dollys Stammrestaurant treffen sich dann alle wieder, plus Horace minderjähriger Nichte Ermengarde und ihr von ihrem Onkel abgelehnter Verehrer Ambrose. Das vierfache Happy End ist vorprogrammiert!
Wie kaum ein anderes Musical steht und fällt das Stück mit der Titelfigur. So lässt Müller-Brandes eine Grande Dame des Musicals die Dolly spielen: Stephanie Tschöppe. Die harmoniert wunderbar mit dem auch schon in die Jahre gekommenen Horace, den Steffen Laube urkomisch mürrisch gibt. Ihre Wortduelle sind von feinster Screwball-Comedy-Qualität, auch wenn sein Wandel vom Macho zum liebenden Ehemann etwas zu glatt über die Bühne geht. Das ist aber letztlich der auf knapp zwei Stunden eingedampften Handlung geschuldet, die den Nebenfiguren wenig Raum zur Entfaltung bietet. So können Kevin Dickmann (Cornelius), Tyler Steele (Barnaby), Marina Pechmann (Irene), Marie-Sophie Weidinger (Minnie), Cornelius Engemann (Ambrose) und Alishia Funken (Ermengarde) nicht das Optimale aus ihren Rollen herausholen, zumal ihnen bei den eingängigen Melodien manchmal die Akustik im Wege steht. Dafür werden die Augen vom originellen Bühnenbild, das Müller-Brandes selbst entworfen hat, verwöhnt: Vor einer aus farbigen Neon-Röhren nachgezeichneten Silhouette New Yorks braucht es nur einiger verschiebbarer Podeste, um die verschiedenen Schauplätze zu imaginieren.
Die 16-füßige Tanztruppe wirbelt zu den einfallsreichen Choreografien von Vanni Viscusi in Aufsehen erregenden Kostümen im Paco-Rabanne-Stil (Almut Blanke) über die Bühne und durch den Saal. Wobei sie von den großartigen Musikern der Kölner Symphoniker, für die Dirigentin Inga Hilsberg Hermans voluminöse Orchesterklänge kongenial in – zwischen klassischem Streichquartett und Jazzcombo angesiedelte –Arrangements transkribiert hat, mitgerissen werden. Genauso wie das begeisterte Publikum.
„Hello, Dolly!“ | R: Holger Müller-Brandes | 25.5. 19.30 Uhr, 26., 27.5., 2.6. 19 Uhr, 3.6. 16 Uhr | Kammeroper Köln, Pulheim | 02238 956 03 03
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