Einmal, im Katalog zur Ausstellung in der Küppersmühle, spricht es Anselm Kiefer aus: „Die Rezeption meiner Arbeit ist wie bei einer kaputten Schallplatte in einer Rille stecken geblieben.“ Kiefer reklamiert, dass in seinem Werk das Sinnliche, Positive übersehen und stattdessen das Düstere und Bedrohliche wahrgenommen wird. Aber handelt es nicht von der Zerstörung der Erde, der Vernichtung ganzer Völker und dem Untergang von Kulturen? Seine Malereien und Installationen sind pathetisch; sie sind riesig, dunkel, massiv und schwer, als Skulpturen mit Blei geschaffen. Flugzeuge und Bücher gehören zu den durchgängigen Sujets. Die Namen, die Kiefer in die Bilder schreibt, stellen den Bezug zu Mythen und Religionen her. Vor allem thematisiert er die deutsch-jüdische Geschichte. Ein Leitmotiv ist der Umgang mit der deutschen Vergangenheit und dem Holocaust.
Der 1945 geborene Anselm Kiefer gehört zu den berühmten Künstlern der Welt. Schon 1980 hat er (mit Georg Baselitz) im Westdeutschen Pavillon auf der Biennale Venedig ausgestellt. Er wurde mit dem jüdischen Wolf-Preis, dem Praemium Imperiale in Tokio und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, er hat Ausstellungen auf der ganzen Welt. Vielleicht ist Kiefer deshalb so gefragt, weil er sich mit Tabu-Themen auseinandersetzt und zu einer anschaulichen Umsetzung historischer Ereignisse gelangt ist, die man auch als Trauerarbeit verstehen kann. – Also, es stimmt schon: Seine Symbole und der künstlerische Vortrag tragen meist etwas Zärtliches. Es gibt Blumen- und Pflanzenbilder, und selbst der Eindruck verbrannter Erde und des Verlassenen birgt Spuren der Hoffnung. Immer wieder betont Kiefer, dass aus aller Zerstörung Neues entsteht.
Gleich zweimal gibt es nun die Möglichkeit, Werke von Anselm Kiefer zu sehen. Die Ausstellungen in der Bundeskunsthalle Bonn und in der Küppersmühle Duisburg – dort zusammen mit Joseph Beuys – ergänzen sich sinnvoll. In Duisburg werden die Künstlerbücher, die Fotografien und die Arbeiten auf Papier seit Ende der 1960er Jahre gezeigt. In Bonn sind kapitale Skulpturen und Malereien zu sehen, aus der Sammlung Grothe. Sie zeigen, dass Kiefer in seinem gesamten Werk „malerisch“ denkt und den abstrakten Expressionismus mit dem Realismus koppelt. Kiefer ist Historienmaler, allerdings einer, der wie ein Archäologe tiefere Schichten freilegt und dabei Faktizität und Fiktion zueinander in Beziehung setzt. Seine Gemälde sind riesige Landschaftspanoramen, die Farbe ist in massigen Schichten aufgetragen, darüber setzt er noch Schlacke, Holz, Pflanzen oder Stücke aus Blei. In Bonn schaut man sozusagen auf Bühnenbilder, die von einer gewaltigen Dramatik erfüllt sind. Freilich setzen diese Werke viel an kulturellem und mythologischem Vorwissen voraus. Eine Kritik lautet, dass in Bonn sämtliche Werke in der Hand eines einzigen Privatsammlers verbleiben. Andererseits ermöglichen gerade diese Werke hierzulande erstmals seit vielen Jahren einen umfassenden Blick auf Kiefers Kunst. Ob man sie nun mag oder nicht.
„Anselm Kiefer – Am Anfang“ I bis 16.9. I Bundeskunsthalle Bonn I www.bundeskunsthalle.de
„Joseph Beuys und Anselm Kiefer – Zeichnungen, Gouachen, Bücher“ I bis 30.9. I Museum Küppersmühle in Duisburg I www.museum-kueppersmuehle.de
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