Die lange und zumindest phasenweise sehr fruchtbare Tradition des Punk im Ruhrgebiet war nicht selten geprägt durch ganz konkrete Orte. Der Bochumer Zwischenfall war ein Symbol dafür, wie offen und experimentierfreudig sich die Szene in ihrer Frühphase in den frühen 1980er Jahren gab und sich unter undogmatischen Geistern bis heute gibt: Punk wurde hier zu Postpunk, wurde zu Wave und zu EBM, die Subkultur splitterte sich in nochmalige Subsparten auf und existierte doch weitgehend friedlich neben- und miteinander.
Zuletzt galt der Zwischenfall weitgehend als Gruftie-Laden, was aber nur halb der Wahrheit entsprach. In unregelmäßigen Abständen wurde dort nach wie vor alles abgebildet, was einer aus den 1980ern und 1990ern stammenden Definition folgend als Alternative Music galt: Punk, Hardcore, Rockabilly, aber auch Lesungen und weitere Vorführungen. Auf der einen Seite gab sich der Zwischenfall unbeugsam forsch, auf der anderen Seite war der Laden ein Relikt einer Zeit, die nun auch schon wieder 20 Jahre zurückliegt. „War“, weil der Zwischenfall nun unwiederbringlich seine Tore schließen musste. Und das ist mehr als schade.
Am Abend des 18. August vergangenen Jahres brannte in den Wohnungen oberhalb des Zwischenfall in Bochum-Langendreer ein Dachstuhl. Der Brand dehnte sich auf umliegende Häuser aus und hinterließ in der Diskothek schwerwiegende Schäden. Dass keine Personen verletzt wurden, war pures Glück. Schnell fand sich über die heute üblichen Kanäle, also weitgehend Soziale Netzwerke im Internet, eine breite Schar von Unterstützern, die dem Pächter Norbert Kurtz und seiner Firma KKM dabei helfen wollten, die Kosten für eine Instandsetzung ohne ständige Einnahmen aufzubringen. Es gab Benefizkonzerte und Spendensammlungen, letztlich ohne Erfolg: Ende vergangenen Jahres zeichnete sich ab, dass die Renovierung des Gebäudes, in dem der Zwischenfall residierte, unverhältnismäßig teuer und dadurch unmöglich sein würde. Anfang April gab Kurtz schließlich das endgültige Aus bekannt. Damit endete eine Epoche von alternativer Musikkultur, die schon mit dem Vorgängeretablissement „Appel“ zu einer Zeit begann, als das Wort „Alternative“ noch gar nicht in den allgemeinen Sprachgebrauch der Popmusik übergegangen war.
Die Lücke, die das Ende des Zwischenfall reißt, bleibt bis auf weiteres ungefüllt. Es gibt im selben Stadtteil zwar noch Konzertclubs wie den Bahnhof Langendreer, aber die Szene, die den Zwischenfall 27 Jahre lang bevölkerte, hat dort kein Zuhause. Der Zwischenfall war aber auch ein Relikt der Szene seiner Anfangstage, ihre jüngeren Nachkommen stellen sich und ihre Hingabe für Wave und Synthie-Klänge anders dar. Ein Beispiel dafür ist die Partyreihe Flat Field, die monatlich abwechselnd im Essener Goethebunker und im Kölner E-Feld stattfindet. Ihre Musik fußt auf dem Wave und Postpunk der 1980er und reicht bis in die heutige Zeit, in der gerade Synthie-Pop als Dream-Pop und Shoegaze eine Renaissance auch in Hipster-Kreisen feiert. So traurig das Ende des Zwischenfall auch ist – seine Musik wird dadurch nicht zu stoppen sein.
www.zfall.de I live: Flat Field Party I 11.5. I Essen, Goethebunker
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