Der ÖPNV ist ein guter Freund des Clubbers. Damit ist nicht nur die kleine Schmalspurbahn im Westfalenpark gemeint, auf der sich die Besucher des diesjährigen Juicy Beats zum ersten Dortmunder Auftritt der Goldenen Zitronen seit einem Neonazi-Überfall auf ihr Silvesterkonzert vor knapp 20 Jahren kutschieren lassen können. Auch der große Bruder Deutsche Bahn verliert viel von seinem Unbehagen, wenn das Ziel der Reise der Ort des unbedingten Genießens ist.
Zumindest wenn man „0201“ von Manuel Tur auf dem MP3-Player hat. Der Essener House-Produzent und DJ erzählt auf seinem Debütalbum die Geschichte einer ganzen Clubnacht vom vorsichtigen Überschreiten der Türschwelle hin zu den kleinen Momenten der Euphorie und dem etwas verpurzelten Gefühl auf der Heimfahrt. Vielleicht ist es diejenige seiner eigenen „Slow Club“-Nächte im Essener Goethebunker, wo er gemeinsam mit seinen Freunden Dplay und Langenberg auflegt. Kennengelernt haben sich die drei auf den üblichen Kanälen aus Schulfreunden, Parties und Internetforen. Halt da, wo sich Musiknerds treffen, wenn sie die Liebe zu den Tönen antreibt. Irgendwann gab es dann die ersten Kontakte mit Musiksoftware, und schon war die Freizeit für die nächsten Jahre verplant. Eine kleine Geschichte, die sich nicht so recht mit der großen Geschichte von Manuel Turs Heimatstadt vom Stahlkochzentrum zur Kulturmetropole vermengen mag. Besonders dann nicht, wenn einen der Trubel um das nächste Jahr eh kalt lässt. „Parties in Essen oder sonstwo haben mich nicht sonderlich geprägt, wenn ich ehrlich bin“, erzählt der 24Jährige. „Die Stadt wirkt mitunter so, als würde man eine Großstadt durch die Milchglasscheibe betrachten ... eine sehr seltsame Stimmung“. Dazu liefert „0201“ den passenden Soundtrack. Zwischen den zurückhaltend groovenden Rhythmen und einlullenden Melodiebögen blitzen immer wieder Momente der Melancholie auf, wenn sich das Bewusstsein des Morgens in die Augenringe schreibt und die Clubnacht mit dem Blick auf die triste Essener Bürolandschaft am Hauptbahnhof endet. Fast so, als würde man durch die Milchglasscheibe schärfer sehen.
Ein Satz, den man auch auf Wolfgang Voigts Projekt „Gas“ münzen könnte. Als dieser Ende der 90er Streichersamples mit Coverbildern deutscher Wälder mixte, war er schnell Gegenstand verschiedenster Debatten. Dabei bewies Voigt vor allem, wie sich im Zeitalter digitaler Verfügbarkeit die Aura des Künstlers erhalten lässt. Kein Wunder, dass ihm die c/o pop in seiner Heimatstadt Köln einen Headliner-Slot reservierte. Auch in seiner sechsten Ausgabe lotet das Festival die Bedingungen der Kulturindustrie unter dem digitalen Wandel ohne Kulturpessimismus aus. Wozu das liebevoll kuratierte Festival auch nur wenig Anlass geben dürfte. Egal, ob sich am nächsten Tag der Mitschnitt im Netz finden lässt.
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