Die großen Damen des Jazz waren auch mal jung. Das kann aber niemand mehr wirklich aus Augenschein wissen, denn Beobachter wie Grand Ladies sind alle abberufen vom weltlichen Freudengesang – die innigsten Songs sind eh meist schmerzliche Balladen über die Liebe. Dieses Thema, nicht nur ein Frauenthema, bleibt uns auf literarisch meist über Pop-Niveau siedelnder Lyrik erhalten, weil die konservative Richtung des Jazz, die der Antiken- Sammler, auch erhalten bleibt. Die neuen Weltstar-Diven wie Diana Krall bespielen mit ihren Songs Sporthallen, weil sie lange Beine und blonde Haare haben, das hat die Industrie dem Klassikmarkt angepasst. Süße Sängerinnen wie Norah Jones faszinieren auch die jungen Leute mit ihren sanften Balladen, die auch eine Brise Jazz atmen – zum Beispiel in den ausgezeichneten Sidemen und deren gemäßigt-lyrischen Improvisationen. Diese Damen sorgen für populäre Breitenwirkung, ihnen sei gedankt.
Wenige Sängerinnen besitzen die Klasse, nicht nur als Abendstern in die Spots gebeten zu werden, sondern auch eigene Projekte zu realisieren. Ein Exemplar dieser raren Spezies stammt sogar aus Europa: Ihr Name ist Roberta Gambarini. Sie ist eine „Musiker-Musikerin“, so nannte sie just James Moody, Veteran des Tenorsaxophonspiels, der 1946 erstmals als Partner von Dizzy Gillespie auftrat und bis heute – er ist jetzt 84 Jahre alt – immer noch gerne auftritt. Und er muss es wissen! Besonders gern musiziert er, wenn solche Granaten wie Roberta im Team sind. Der alte Herr ist für jeden Spaß zu haben, und Roberta sprudelt nur so vor Ideen. So kann es durchaus passieren, dass die Instrumentalisten für Minuten zu Vokalisten mutieren und gemeinsam eine riesige Battle – Mann gegen Mann/Frau – ausfechten. Dann sind Musiker und Publikum amüsiert und aufgeweckt. Es gibt aber auch Feinheiten, die das Publikum als Selbstverständlichkeit schluckt, unauffällige Qualitäten, die einen „Musician-Musician“ auszeichnen. Die sind aber manchmal ganz gravierend und eröffnen neue Möglichkeiten. Roberta z.B. besitzt das absolute Gehör. Wenn sie die Bühne nach einem Warmup der Band betritt, beginnt sie wie selbstverständlich unbegleitet ihren Vortrag – kein Klaviertönchen klingelt leise die Tonhöhe an. Bei ihr gibt es bei den Musikern keine sauren Mienen wegen mangelhafter Intonation, diese Momente, wo die Stimme den Gipfel nicht erreicht, knapp darunter scheitert oder darüber hinausschießt. Kein Fall für Roberta, denn so James Moody: „Roberta weiß immer, wo sie ist!“
Routine im Jazzgeschäft ist gut. Gambarini singt seit ihrem 17. Lebensjahr öffentlich in Jazzclubs. Ein Stipendium führte sie ans Konservatorium nach Boston, worauf sie nach New York zog. Sie schaffte den Sprung ins Geschäft, auf ihrer bisherigen Erfolgsliste stehen Konzerte mit Herbie Hancock, Dave Brubeck, Michael und Randy Brecker und Trompeter Roy Hargrove, mit dem sie aktuell tourte. Die Frau beherrscht nicht nur die Musik, sondern selbst die Bühne vor einer ganzen Big Band. Sie gleicht einer hochmodernen Wunderwaffe des Jazzgesangs: neueste, bisher unbekannte Technik. Und trotzdem siegt am Ende das Gefühl.
Aktuelle CD: „So in Love“ I evtl. am 26.12. in der Kölner Philharmonie als Gast von Paul Kuhn (traditionell ausverkauft)
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