Unter Musikkritikern ist gerade eine sehr spezielle Haltung der – wie man früher einmal sagte – letzte Schrei. Zusammengefasst geht sie ungefähr so: „Alles schon mal dagewesen, Retromanie allerorten.“ Und so richtig diese Einschätzung auch ist, so wenig stimmt sie dennoch. Denn die Sammeln-und-Sortieren-Perspektive der Kritiker kann nur wenig mit dem zu tun haben, was dem Musikernachwuchs im Proberaum durch die Finger geht.
Eisbaer aus Essen sind dafür ein gutes Beispiel. Sie spielen einen schnörkellosen Bass, mit dem sie ihre zielsicher zirkulierenden Post-Punk-Gitarren grundieren. So weit, so frühe 80er. Aber wenn Sänger André Hörmeyer seine zwischen Introspektion und Anklage pendelnden Texte rauskramt, ist es vorbei mit der Retro-Gemütlichkeit. „Nach der Arbeit ist vor der Arbeit“ singt er, und dass dies einmal stimmen würde, hätte vor 30 Jahren kaum jemand gedacht.
Für junge Musiker sind die 1980er eine Blaupause für die immer neue Formulierung der immer gleichen Jugendsehnsüchte. Aber das entwertet die Sehnsüchte nicht, sondern ist eher klassische Bildung. Man arbeitet sich halt am Kanon ab. Das Kölner Trio Xul Zolar schickt seine verhallten Gitarren ins Niemandsland zwischen den New Romantics der 4AD-Schule und den zaghaften Rockversuchen der C86-Generation. So entsteht die Kunst der unterkühlten Gitarrenmanipulation, die dennoch niemals kaltherzig ist.
Ihre Dortmunder Shoegaze-Kollegen Shoreline Is, mit denen sie sich auch schon eine Bühne geteilt haben, rollen die 1980er dagegen vom Ende des Jahrzehnts auf. Damals verbanden sich die Shoegaze-Gitarren langsam mit der aufkommenden Sample-Technologie, und auf den zwölf Stücken ihres Debütalbums „Deal Kindly“wird dieser Periode detailverliebt Hommage gezeugt. Shoreline Is pendeln zwischen der Gitarrenwand mit ausgewachsenem Effektspektrum und dem spärlichen Einsatz von Drummaschine und Sequencer und sind bei aller Soundbastelei dennoch in erster Linie Songwriter. Auf „I'd Hear the Clouds Move“ umschmeicheln kurz vor der Schrammelei stehende Hallgitarren den butterweichen Gesang und flüstern ihm leise „Hit“ ins Ohr.
Das Kölner Synthiepop-Trio Tourist hat dagegen ein wenig gebraucht, um sich mit der Songform zurechtzufinden. Begonnen haben sie als Elektro-Pop-Act mit Club-Background. Über gradlinigen Sequenzen lag die Stimme von Sängerin Inky Timez – der perfekte Soundtrack für die Night out. Mittlerweile haben Synthesizer, Drumcomputer und Gesangsspuren besser zueinandergefunden, die Tracks haben sich zu Songs entwickelt, kleine Hooks umschmeicheln die Melodien, und das bleibt nicht ohne Wirkung. Auf dem Eröffnungsabend der c/o pop haben sie im voll besetzten Millowitsch-Theater den Hauptact locker an die Wand gespielt, was nicht zuletzt der unprätentiösen Bühnenpräsenz von Sängerin Inky Timez zu verdanken ist, die wie kaum jemand zweites auf der Kölner Pop-Leistungsschau eine seltene Eigenschaft an den Tag legte: Sie hat sich herzlich über ihren Applaus gefreut. Und das wäre in den 80ern nun wohl wirklich das Letzte gewesen. Oder was immer man damals gesagt haben mag.
Eisbaer: www.eisbaerband.de I Xul Zolar: soundcloud.com/xul-zolar I Shoreline Is:shorelineis.bandcamp.com I Tourist: soundcloud.com/touristontour
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