Unter den Überzeugungsträgern von engen Jeans geht seit ein paar Monaten ein neues Gespenst um. Der Welt ist es als Witch House bekannt, wieder andere nennen es Drag. Der innere Kreis bevorzugt angeblich den Begriff Ghost Drone, aber das hat sich bis zum Erscheinen dieser Kolumne vermutlich auch schon wieder geändert. Nur eins ist sicher – seine Heimat ist das Internet, und zwar genau der Teil, wo sich Musiknerds am liebsten aufhalten. Zwischen Tumble-Logs und Soundcloud-Streams hat es sich diese Collage aus Schnipseln alter Horrorfilme, Leetspeak und verhallten Dancetracks bequem gemacht, um sie dort in der digitalen Echokammer in Richtung Unendlichkeit auszudehnen.
Das Triumvirat der Witch House-Gemeinde verlässt die Nische aber so langsam. ooOoOO, die Produzenten ultraverlangsamter Tracks voller Reverbdubs, haben mittlerweile einen Plattenvertrag unterzeichnet. Die New Yorker Danceband Salem hält ihre Gesichter für jedes Magazin, das vom Honigtopf der Hipness naschen will, in die Kamera. Nur Cosmotropia de Xan, der Mastermind von Mater Suspiria Vision, veröffentlicht seinen nicht mehr nachvollziehbaren Output weiter in erster Linie auf CD-R und im Internet. Seinen guten Ruf als der konsequenteste Verwerter zeitlos antiquiert wirkender Horrorästhetiken bestätigt das nur. Da ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass die gewöhnlich gut informierten Kreise recht haben, die den Meister in Duisburg verorten. Wo sonst könnte diese rauschhafte Begeisterung für italienischen Giallo ihre Heimat haben, wenn nicht im Ruhrgebiet, wo man auf jeder Party ein kenntnisreiches Gespräch über Regisseure wie Lucio Fulcio führen kann? Und wo Bands wie Bohren und der Club of Gore aus Mülheim und die Bochumer Rockford Kabine dem Soundtrack zum Horrorfilm der 1970er in ihrer eigenen Musik fortschreiben?
Aber wo diese Bands sich damit begnügen, die Atmosphäre des Erschreckens wieder zu evozieren, recyclet Mater Suspiria Vision das Material ohne Konnotation – die digitale Verfügbarkeit macht's möglich. Wer sich auf seine Homepage verirrt, kann sich in labyrinthartigen Filmcollagen verlieren, die uns Sekunden voll klirrender Fenster aus dem Nichts kommender Blutströme in eine Verdichtung des Schreckens überführen. Immer mit der nötigen Ironie, aber niemals ohne Leidenschaft. Das Recycling von Mater Suspiria Vision ist weniger am Finden von Referenzen zwecks Distinktion interessiert, sondern an einer konstanten Verfremdung zum Zweck der schnellen Jouissance. Seine Zombie Rave-Stücke sind gleichzeitig ein Making Of des
Genres Witch House: aus Funk und Facebook bekannte Hits, die mit einem Minimum an Standard-PlugIns verlangsamt worden und durch die soghafte Lächerlichkeit unwiderstehlich sind. So wird kulturindustrieller Schrott zu dem Witz, der er nun mal ist. Doch nicht der Musiker, sondern seine Methode ist der eigentliche Star. So tritt Mater Suspiria Vision auch bei seinen Liveauftritten nicht ohne Kapuze und verhülltes Gesicht während seiner rauschhaften Filmcollagen auf. Apropos Konzerte: Die nächsten Konzerte von Mater Suspiria Vision werden in Brüssel, Mailand und Rom stattfinden – Dortmund und Essen fehlen dagegen im Tourkalender. Das Ruhrgebiet zeigt sich auch nach dem Metropolenfest mal wieder erstaunlich provinziell, wenn es um die eigenen Talente geht.
www.matersuspiriavision.tumblr.com
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