„Direkt nach dem Frühstück habe ich heute eine Anakonda in die Schüssel gedrömmelt, das glaubst du nicht. Erst wollte sie nicht raus, also musste ich kräftig drücken, dass ich dachte, mir platzt ne Ader. Aber als die dann rauskam aus meinem Arsch, Junge, war das eine Erleichterung.“
„Alter, bist du widerlich! Aber pass mal auf. Letztens im Büro, da habe ich meine Tage bekommen. Ich bin also aufs Klo, wollte meine Menstruationstasse rausholen …“
„Was ist denn das?“
„Das ist quasi so ein kleiner Becher, den du dir reinsteckst in die Vagina, der das Menstruationsblut auffängt. Ein bisschen wie ein wiederverwendbarer Tampon. Ich will den also so rausholen, randvoll ist der, da rutscht der mir aus den Fingern. Platsch, schwapp, klitsch, überall Blut, auf meiner Hand, auf dem Klopapierhalter, dem Porzellanthron, meinen Schuhen. Und natürlich der ganze Boden voll.“
„Würg! Das hast du aber weggemacht irgendwie, oder?“
„Ja klar, so gut es ging …“
Natürlich tabu
Man konnte fast hören, wie die Leute um uns herum mit den Augen rollten. Vielleicht gaben sie auch wirklich Geräusche von sich. Kopfschütteln, verächtliches Schmatzen. Vielleicht das ein oder andere Würgen?
Manche Dinge sind eben Tabuthemen, auch wenn sie natürlich sind. Der Tod gehört dazu, weil er uns Angst macht. Wenn eine alte Witwe ein Taxi zum Friedhof nimmt, um ihren verstorbenen Gatten zu besuchen, sollte der Taxifahrer ihr nicht unter die Nase reiben, dass er dann am besten nicht für die Rückfahrt auf sie warten wird. Religion ist auch ein Tabu, weil religiöse Gefühle anscheinend wichtiger sind als andere Empfindungen. Es ist akzeptierter, jemanden einen Trottel zu nennen, der an Echsenmenschen glaubt, als jemanden, der glaubt, der Erschaffer des Universums schere sich darum, ob man masturbiert oder nicht. Masturbation hingegen ist ein Tabu, weil es tief in unserer Privatsphäre wurzelt. Kacken, pardon defäkieren, und menstruieren (wieso gibt es eigentlich kein prollig-vulgäres Wort dafür?) stören unser Hygieneempfinden, genauso wie Pickel ausdrücken, Schuppenflechte, die über den Kaffeetisch rieselt oder Schamhaare im Gästebad.
Was empört, unterhält
Wenn die Witwe sich aber keine Hoffnungen mehr machen kann, dann sollte über den Tod gesprochen werden. Wenn irgendwas mit der Darm- oder Vaginalaktivität nicht stimmt, dann sollte auch darüber gesprochen werden. Wenn der Bauch aua macht, dann entschuldigt man sich kurz vom Tisch oder Arbeitsplatz (es sei denn, man arbeitet auf der Bühne, in einem Rennwagen oder operiert am offenen Herzen, dann sollte man sich noch eine Zeit lang zusammenreißen), verschwindet auf dem Örtchen und kommt nach einem Weilchen erleichtert wieder. Gleiches sollte für Unterleibs-Aua gelten. Und wenn es doch nicht besser geht, dann schaut man, ob man nicht besser nach Hause gehen sollte.
Niemand sollte irgendjemanden für irgendwas verurteilen, was der Körper (weitgehend) unkontrolliert tut. Kacken müssen wir alle, blutschlotzen (nee, über einen angemessenen Vulgarismus müssen wir noch nachdenken) ist nur der Hälfte der Säugetiere vorbehalten. Aber ob man Details darüber laut in die Welt ruft, das darf jeder selbst entscheiden. Und jeder darf sich davon angeekelt fühlen. Das ist auch gut so, denn ohne empörte Leute würden Gespräche in der S-Bahn nur halb so lustig sein.
Meine Meinung zu diesem Thema
DER GESCHMACK VON BLUT - Aktiv im Thema
duesseldorf.de/aktuelles/news/detailansicht/newsdetail/entwurf-kostenlose-menstruationsartikel-an-duesseldorfer-schulen.html | Die Stadt Düsseldorf informiert über erste Schritte, Menstruationsartikel kostenlos zugänglich zu machen.
socialperiod.org | Der in Berlin ansässige Verein Social Period setzte sich dafür ein, hilfsdürftigen Menschen gespendete Menstruationsprodukte frei zugänglich zu machen.
welthungerhilfe.de/informieren/themen/fuer-wasser-und-hygiene-sorgen/menstruationstasse | Die Welthungerhilfe erklärt, wie die Menstruationstasse das Leben von Mädchen und Frauen im Globalen Süden verbessern kann.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Bis aufs Blut
Intro – Der Geschmack von Blut
Drei Millionen Liter
Gedanken zur Periodenarmut – Teil 1: Leitartikel
„Menstruation ist keine Wahl“
Claudia Ulferts vom Plan International über Periodenarmut – Teil 1: Interview
Tampons für alle
Kostenlose Menstruationsartikel an der Ruhr-Uni Bochum – Teil 1: Lokale Initiativen
Die normalste Blutung der Welt
Vom Ende des Tabus der Menstruation – Teil 2: Leitartikel
„Uns wurde weisgemacht, unser Blut sei etwas Schmutziges“
Unternehmerin Bettina Steinbrugger über die Tabuisierung der Menstruation – Teil 2: Interview
Rücksicht auf den Monatszyklus
Zu Besuch im Kölner Concept Store Le Pop Lingerie – Teil 2: Lokale Initiativen
Mysteriöse Körper
Warum die Medizin den weiblichen Zyklus vernachlässigt – Teil 3: Leitartikel
„Der 28-Tage-Zyklus ist eine Erfindung der Industrie“
Anja Moritz von der Endometriose-Vereinigung Deutschland über den Umgang mit Menstruation – Teil 3: Interview
Wenn alle monatlich Grippe hätten
Medienprojekt Wuppertal klärt über Menstruation auf – Teil 3: Lokale Initiativen
Free Bleeding für alle
Gesetz hilft menstruierenden Menschen – Europa-Vorbild: Schottland
German Obstacle
Hindernislauf zur deutschen Staatsbürgerschaft – Glosse
Schlechte Zeiten: Gute Zeiten
Die Macht der Nostalgie – Glosse
Spielend ins Verderben
Wie Personalmanagement das Leben neu definierte – Glosse
Ode ohne Freude
Gedanken zur EU – Glosse
Sinnenbaden im Meer
Ode an das Meer – Glosse
Blutige Spiele und echte Wunden
Gewalt in den Medien: Ventil und Angstkatalysator – Glosse
Gib mir Tiernamen!
Wie sich die Natur schwuppdiwupp retten lässt – Glosse
Nur die Lokomotive
Verloren zwischen Bett- und Lebensgeschichten – Glosse
Der heimliche Sieg des Kapitalismus
Wie wir vergessen haben, warum wir Karriere machen wollen – Glosse
Im Sturm der Ignoranz
Eine Geschichte mit tödlichem Ausgang – Glosse
Märchenspiegel 2.0
Vom Streben nach konformer Schönheit in feministischen Zeiten – Glosse
Von der Barbarei der Debatte
Natürlich kann man vermeiden, dass irgendwer Dinge hört, gegen die er allergisch ist – Glosse
Staatsmacht Schicht im Schacht
Mögen Körperflüssigkeiten den Parlamentarismus retten – Glosse
Neidischheit und Geiz und Reichheit
Die Reichen sind geizig und die Armen neidisch. Klare Sache? – Glosse