Du wirst mir immer ein wichtiger Freund bleiben, sagte sie, so, als ob das ein Trost für irgendjemanden wäre. Mir ist die freundschaftliche Anziehung zu ihr längst einer rein körperlichen gewichen. Und nun sagte sie, dass es das gewesen sei. Unsere Zuneigungen haben sich in zwei unterschiedliche Richtungen entwickelt. Eigentlich sollte es doch für mich kein Problem sein, eine Affäre zu verlieren. Von denen gab es viele. Dennoch konnte ich nichts anderes rausbringen als mich selbst. Ich gehe mal raus an die frische Luft, sagte ich. Statt dass wir uns mit einem kameradschaftlichen Händedruck verabschiedeten, wollte ich hinaus und einen Brief schreiben. Sprechen konnte ich nicht, das verhinderte der Kloß im Hals.
Würdevoll enden
Das Schreiben fiel mir genauso schwer, die Hand zitterte, denn ich merkte in diesem Moment, dass ich mehr an ihr hing, als ich mir eingestanden, dass ich sie mehr respektierte, als ich gedacht hatte. Oder war das, was so wehtat, doch die Einsicht, dass nicht ich den Mut aufgebracht hatte, das Ganze schon vor einigen Wochen oder Monaten gar zu einem würdevollen Ende zu bringen? Auf einmal fühle ich mich verloren, denn ich merke, dass ich in dieser stürmischen Welt keinen Anker mehr habe. Der Anker hat seine Kette verloren, mein Kompass seine Nadel und meine Seekarte die Nordung und ich damit die Orientierung.
Tja. Das passiert eben. Ich habe mich doch für diesen Weg entschieden, oder? Damit, wenn es so weit ist, ich nicht so alleine bin, oder nicht? Und doch ist das Gefühl der Einsamkeit gerade stärker als je zuvor. All die anderen Beziehungen, die doch für glückliche Momente sorgen sollen, erscheinen gerade vollkommen nutzlos. Sie spenden Betäubung, nicht Trost. Kurzzeitige Freude.
Noch strample ich, noch wehre ich mich. Für einen Moment bin ich erwachsen, für einen Moment bin ich ein echter Mann. Darum bin ich hier, klammere mich an den vierten Schnaps und erzähle in dieser Spelunke einem Fremden von meinen Sorgen.
Ein echter Mann
Wortlos schiebt der besagte Fremde neben mir sein Glas Klaren gegen meinen Rum und kippt sein Getränk hinunter. Die unzähligen geplatzten Äderchen auf seiner Nase und seinen Wangen sind Zeugen, dass er schon seit einigen Jahren gegen die Tiefe anschwimmt. Dass er diesen Kampf nicht immer gewinnt, davon singt der Geruch, den seine Jacke verströmt. Nun ist er dran mit seiner Geschichte. Er hat davon geträumt, dass es die unendliche Geschichte würde, nun ist es das Ende der Geschichte, das er unendliche Male schon erzählt hat. Hier, an diesem Tresen. Im Park. Am Bahnsteig. Und immer wieder an diesem Tresen.
Seine Frau habe ihn verlassen, für seinen Arbeitskollegen und Kegelfreund. Hat die Kinder mitgenommen. Dann kam die Bank, hat ihm das Haus genommen. Das gemeinsame Haus war es gewesen. Mit der Veranda, die sie so gerne haben wollte, und der Etage nur für die Kinder. Die Kinder, die er so sehr geliebt und so selten gesehen hat, weil er so viel arbeiten war für dieses Haus. Nun hatte er nichts mehr, wofür er arbeiten wollte, also hörte er auf damit, von einem Tag auf den anderen. Er zog in eine winzige Wohnung und eine Modelllokomotive aus seiner Jackentasche. Er legte sie auf die Theke und sagte, dass dies alles sei, was er aus dem Haus habe mitnehmen können. Mehr Platz habe er nicht. Längst hatte der Wirt einen neuen Korn bereitgestellt. Er wusste, dass dies der Moment war, an dem es Zeit für einen weiteren Korn und ein langes Schweigen war. Ich schwieg mit. Ich konnte dem Fremden doch nicht sagen, wie gut seine Geschichte mir getan hat.
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