Ein Netzwerk aus Freundschaften – die Skizze auf einer Einladungskarte zum 80. Geburtstag von Daniel Spoerri zeigt, wie sehr die Schweizer Kunst in den 1960er und 1970er Jahren verflochten war. Aber nicht als lokale Sache, sondern als gegenseitige Inspiration von Freigeistern der Weltkunst. Im Mittelpunkt steht Daniel Spoerri, der 1930 in Rumänien geboren wurde und erst mit 12 Jahren in die Schweiz kam. 1950-1954 studierte er Klassisches Ballett in Zürich und Paris, wo er Jean Tinguely kennenlernte. Nach seinen tänzerischen Engagements kehrte er 1959 in die damalige Kunsthauptstadt zurück und wurde im Jahr darauf Gründungsmitglied der „Nouveaux Réalistes“. Die dort propagierte Durchdringung von Alltag und Kunst hat er selbst verwirklicht mit seinen berühmten „Fallenbildern“, bei denen nach dem Essen das leergegessene Service, das Besteck an Ort und Stelle fixiert und dann wie Gemälde ausgestellt wurden. 1968-70 hat er das „Restaurant Spoerri“ in Düsseldorf betrieben. Kochen und Essen wurden damit zur Kunst, zur „Eat Art“. Spoerri wurde wenig später Professor in Köln, später dann in München. In seiner Kunst bleibt er dem Tagtäglichen und dem Verbrauchten treu, mit einem Hang zur Inszenierung. Im Dreiklang nun mit seinen Landsmännern Tinguely und Alfonso Hüppi, die ebenfalls im Oktober ausstellen, gibt seine Werkschau im Arp-Museum Rolandseck sozusagen den Takt vor. Etwas Rustikales kennzeichnet seine späteren Arbeiten: mit den Figurenkombinationen, die, in Bronze abgegossen, wie verwitterte Fetische wirken – damit lassen sie unmittelbar an Jean Tinguely denken. Tinguely (1925-1991) selbst hat Skulpturen aus filigranen Eisenteilen und Fundstücken geschaffen, die unter Quietschen angetrieben sind und mitunter sogar zeichnen können. Schon ab 1954 entstehen seine „Méta-Maschinen“, die an Karneval und Totentänze erinnern, mitunter dampfen und sogar Teller zerstören. Berühmt ist sein gigantischer „Zyklop“ im Wald von Fontainbleau: Am besten war Tinguely in der Natur, und das bestätigt nun die Ausstellung von drei seiner späten Arbeiten im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal. Bliebe Hüppi, der ein Jahrzehnt jünger ist als Tinguely. Aber wie bei diesem tanzt seine Kunst geradezu mit der Linie, und wie Spoerri verwandelt er Formen des Alltags. Das erste trifft auf Hüppis Zeichnungen zu, die mit Sprachwitz Figürliches umreißen und Zwischenmenschliches ansprechen. Das zweite betrifft seine Holzskulpturen, die jetzt in der vorzüglichen Galerie Beck & Eggeling in Düsseldorf zu sehen sind, dort wo Hüppi über 25 Jahre an der Akademie eine Malklasse geleitet hat. Aber die Skulpturen streifen noch einen weiteren wichtigen Beitrag der Schweiz: die Konkrete Kunst um den großen Max Bill, mit dem Hüppi (ebenso wie bis heute mit Spoerri) befreundet war. Hüppi aber kehrt alle Traditionen um, verzaubert jedes Strenge und bleibt im Zulassen doch präzise. Das Verblüffende und das Vieldeutige, das sich plötzlich in Leichtigkeit auflöst – das ist tatsächlich ein Zug schweizerischer Kunst, bei allen diesen Künstlern.
Jean Tinguely – Skulpturen I bis 12.12. im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal I www.skulpturenpark-waldfrieden.de
Daniel Spoerri – Weißt Du, schwarzt Du? I bis 9.1.2011 im arp museum Bahnhof Rolandseck in Remagen I www.arpmuseum.org
Alfonso Hüppi – Holzwege I bis 30.10. bei Beck & Eggeling in Düsseldorf www.beck-eggeling.de
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