Das Audimax in Bochum wirkt stets wie ein Experimentallabor. In ihm fanden vor der Einweihung des Musikforums auch die großen sinfonischen Ereignisse der Bochumer Sinfoniker statt. Hier lässt sich auch mit dem Raum experimentieren, es ist das Klanglabor der Ruhr-Universität Bochum. Als Abschlusskonzert des Semesters hat der Universitätsmusikdirektor Nikolaus Müller für sein Sinfonieorchester und den Universitätschor zwei sehr spezielle Werke auf das Programm gesetzt: Orffs „Carmina Burana“ treffen auf Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“. Pop-Hit trifft Rarität.
Interessanterweise trafen die „Carmina Burana“, die in Carl Orffs Adaption 1937 uraufgeführt wurden und gleich einen Siegeszug unter den Chorstücken der Ernsten Musik aufnahmen, auch den Geschmack der damals amtierenden Reichsmusikkammer. Obwohl sie die harte und ungewohnte Rhythmik und im Grunde auch die verwendete lateinische Sprache ablehnte, entsprach das Werk auch dank des wohlwollenden Zuspruchs von Adolf Hitler der erwünschten deutschen Jugendkultur als „die klare, stürmische und dennoch disziplinierte Art von Musik, die unsere Zeit benötigt“ – so der Völkische Beobachter. Es ist kein Zufall, dass auch mit Klassik fremdelnde Menschen manche Passage aus dem monumentalen Werk wiedererkennen können – die Werbung hat sich der massiven Klangwirkung mehrfach versichert.
Auch abseits dieser düsteren Zeitgeschichte ist das Werk ein mitreißendes Abenteuer in altbacken auftretendem neuem Gewand. Allein der Gesang des bereits gebratenen Schwans („Einstens war ich Zierd‘ des Sees“) für einen fistelstimmigen Tenor und die tänzerischen Rhythmen garantieren einen abwechslungsreichen Abend.
Nur kurz und tiefschürfend bricht in diesen Glanz aus alter Zeit die dissonante Zwölftonwelt des nach Amerika emigrierten Arnold Schönberg, der seinen Überlebenden aus dem Ghetto in drei Sprachen über in Warschau Erlebtes berichten lässt. Sergeant: „Na wird‘s mal. Oder soll ich mit dem Jewehrkolben nachhelfen?“ Schönberg bringt zum gesprochenen Text Angst und Schmerz in Tönen zum Ausdruck. Keine zehn Minuten benötigt das Stück, bis der hier verwendete Männerchor mit einem jüdischen Gebet in ein kakophonisches Finale mündet. Tobende Stille danach.
Semesterkonzert | 11., 12.7. 20 Uhr | Audimax der Ruhr-Universität Bochum | 0234 322 95 14
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