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Tiefere Wahrheiten

30. Oktober 2012

Andreas Gursky und Gillian Wearing in Düsseldorf – Kunst in NRW 11/12

Es ist länger her, dass eine Werkschau mit den großformatigen Farbfotografien von Andreas Gursky in NRW zu sehen war. Berühmt wurde Gursky mit seinen fotografischen, tatsächlich am Computer bearbeiteten und veränderten Situationen des Luxuriösen, oft von schwer zugänglichen Orten in der Ferne und aufgenommen aus überschauender Perspektive. Dabei arbeitet er mit Makro- und Mikrostrukturen: Dies gelingt mittels der Tiefenschärfe, die alle Partien gleich verdeutlicht. Gursky liefert Überblicke, er deckt formale Ordnungen auf und intensiviert sie mit den digitalen Maßnahmen nach den Gesetzen von Purismus und Differenzierung. Er zelebriert die bildnerischen Übersetzungen und verliert die Inhalte nie aus den Augen. Genau darum geht es jetzt auch in seiner Ausstellung im Museum Kunstpalast in Düsseldorf, die von Gursky selbst konzipiert ist. Leitmotivisch in die Ausstellung eingestreut ist die neueste Serie mit Hochformaten, die den Fluss Chao Phraya zeigt, der sich auf seinem Weg zum Meer durch Bangkok windet. Aufgenommen von schräg oben, entsteht ein schwebender Eindruck der schwarzen Wasserfläche, in der sich die Fließgeschwindigkeit andeutet. Darin finden sich Einsprengsel von Zivilisationsmüll und auseinandergezogene Schlieren von Farbe zwischen Künstlichkeit und reflektierendem Licht. Als ein Thema dieser Bilder erweist sich die Aktualität von Malerei im Computerzeitalter. Ein weiteres ist der schonungslose Umgang des Menschen mit der Schöpfung. Was wie eine Prophezeiung wirkt, hat sich leider einige Monate nach Fertigstellung dieser Serie erfüllt: Im Oktober 2011 ist der Chao Phraya über die Ufer getreten und hat Teile von Bangkok überschwemmt. Andreas Gursky wurde 1955 in Leipzig geboren, er hat an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Bernd Becher studiert und gehört zu den Protagonisten der mittlerweile weltberühmten „Becher-Schule“. Gursky ist Düsseldorf treu geblieben, hier hat er sein Atelier und lehrt als Professor an der Kunstakademie.

Auch Gillian Wearing, die einen Steinwurf entfernt in der Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz ausstellt, wurde innerhalb einer Gruppe von Künstlern bekannt. Sie wurde in London von der sammelnden Werbeagentur Saatchi ins Gespräch gebracht. Aber die fotografischen und filmischen Arbeiten der 1963 geborenen Wearing sind eher zurückhaltend. Sie erfordern große Aufmerksamkeit und verlagern das Ereignishafte weitgehend in Sprache. Die Kunstsammlung NRW hat nun das Werk für das deutsche Publikum aufbereitet und hält Räume und Kojen für die filmischen Monologe bereit. Vorgetragen werden diese von Personen, die mit einer Maske aus Wachs sozusagen geschützt sind, und die einmal skurril wirkt, dann wieder dem Gesicht fast nahtlos angepasst ist. In diesen Lebensbeichten wird von Obsessionen, von beiläufigen Ereignissen und schockierenden Erinnerungen berichtet. Als Thema von Wearings Kunst kristallisieren sich Rollenverhalten, Identität und die Geschichtlichkeit von Erinnerung heraus. Theatralik ereignet sich in den Köpfen. Ganz anders als Gursky, aber mit dem gleichen Impetus: Durch die subtile Veränderung der visuellen Erscheinung werden tiefere Wahrheiten freigelegt, die hier wie da von uns berichten.

„Andreas Gursky“ I bis 13.1. I Museum Kunstpalast Düsseldorf I www.smkp.de

„Gillian Wearing“ I bis 6.1. I K20, Kunstsammlung NRW in Düsseldorf I www.kunstsammlung.de


Thomas Hirsch

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